Verkannte Einsichten

Die Deutschen sind pragmatische Menschen. Allen voran schreitet Immanuel Kant. Er entkleidete den althergebrachten Begriff der Klugheit vom Sinngehalt der griechischen Philosophen. Er meinte: wer klug handelt, der verschafft sich Vorteile im Leben (*). Der Satz lässt aufhorchen. Vorteile sind immer gut. Was bedeutet denn nun Klugheit im Handeln?

Wissen ist eine Voraussetzung. Wer wenig weiß, der hat nur wenige Handlungsalternativen parat. Er reagiert eventuell zu emotional oder eben ziellos. Beide Varianten können bei der Zielerreichung nicht hilfreich sein. Allerdings ist Wissen mühsam zu erlangen. Der Mensch muss lernen. Und, so sagten die alten Römer schon, wir lernen nicht für die Schule sondern für das Leben.
Wer also ordentlich in der Jugend lernt, der hat schon eine gute Grundlage für den späteren Erfolg im Leben gelegt. So könnte man das philosophische Verständnis von Klugheit auslegen.

Und was ist mit den Cleveren? 

Individuum und Gemeinwohl

Auch der Trickser kann erfolgreich sein. Mit List und Tücke, mit Ellbogen und allerlei Machenschaften setzt er sich im Leben durch. Allerdings wollten die alten Moralprediger dieses Verhalten nicht unter dem Oberbegriff der Prudentia verstanden wissen. An dieser Stelle kommt die zweite Couleur des Begriffes zum Tragen.

Merkmal eins war die individuelle Klugheit, die durch Wissen erworben wurde. Merkmal zwei ist die Klugheit, die moralisch daherkommt und das Gemeinwohl fördert (*). Und dabei ist eben der gerissene Geschäftsmann in der Philosophie nicht so sehr gefragt. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Da hat der verschlagene Ritchie nichts zu suchen. Kluge Menschen sind gefragt, die ihr Leben dank ihrer Talente bestimmungsgemäß und erfolgreich führen.

Die Philosophen bringen mitunter starken Tobak auf Papier. Versucht nicht jeder, irgendwie erfolgreich durch das Leben zu kommen? Und dann wollen die Dichter und Denker, dass wir auch noch gemeinwirtschaftlich korrekt Erfolg haben. Außer Kant. Außer Kant? Was meinte dieser denn mit seinem pragmatischen Ansatz?
Für ihn gab es, so scheint es, keine moralische Verpflichtung des klugen und erfolgreichen Menschen. Jeder sieht zu, wo er bleibt. Das passt scheinbar in die heutige Zeit, die mit den Begriffen vom Verdrängungswettbewerb und vom survival oft he fittest Werbung macht.

Ist das jetzt schon Cleverness? Cleverness wird auch als Schlitzohrigkeit, als Schlauheit verstanden. Dabei kann der Geschäftspartner auch schon einmal alles verlieren.

Win-win gewinnt

Die alten Griechen scheinen moderne Vertreter gefunden zu haben. Spieltheoretiker wollen nämlich herausgefunden haben, dass derjenige Spieler seinen Gewinn maximiert, der den anderen seinen fairen Teil am Deal gönnt. Win-win ist also eine kluge Strategie.

Was bedeuten diese Überlegungen im Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft?
Der Mensch wird im Krankenhaus geboren. Er geht in eine öffentlich finanzierte Schule. Er benutzt die Gehwege der Gemeinschaft. Polizei und Militär schützen sein Leben usw. Diese Investitionen sind nur möglich, indem jeder seinen Teil vom Einkommen abgibt.
Wenn der Einzelne nun anfängt, bei der Steuer zu tricksen oder die Abgabenordnung zu unterlaufen, dann ergibt sich daraus keine allgemeine Win-win Situation. Und wenn ein großer Teil der Bürger sich so verhält, dann kippt das System eines Tages um.

Was sagten die alten Griechen eingangs? Es gibt zwei Arten von Klugheit. Einmal die individuelle Klugheit, die durch Lernen und Wissen erworben wurde. Sie hilft, das tägliche Leben zu gestalten, Und dann gibt es die zweite Variante, in der gesellschaftlich moralisches Handeln als notwendiger Bestandteil des individuellen Handelns hinzukommt.

So betrachtet, könnte Prudentia mit Win-win für alle übersetzt werden. Kluge Menschen geben einen Teil ihres Einkommens wohlüberlegt ab.

(*) Textquelle: Wikipedia/ Klugheit

Autor seit 9 Jahren
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