Verschiedene Formen von Atheismus

Der Atheismus ist selbst keine homogene anti-religiöse Einstellung, sondern es muss unterschieden werden zwischen Atheismus in einem weiten Sinne und Atheismus in einem starken Sinne. Den Vertretern des weiten (impliziten) Atheismus fehlt "schlicht und einfach" die Überzeugung, dass es Gott gibt. Dieser Atheismus geht jedoch nicht davon aus, dass es keinen Gott gäbe; er bestreitet also nicht grundsätzlich die Existenz Gottes. Es gibt hier einen fließenden Übergang zu der Position, die von Agnostikern bzw. Glaubensskeptikern vertreten wird. Demgegenüber sind die Vertreter des starken (positiven, expliziten) Atheismus davon überzeugt, dass Gott nicht existiert. Man kann hier auch von Antitheismus bzw. Atheismus im eigentlichen Sinne sprechen. Während also gemäßigte Atheisten nicht ausschließen wollen, dass es Gott gibt, leugnen überzeugte Atheisten seine Existenz.

Warum wird jemand Atheist?

Die Heterogenität des Atheismus spiegelt sich auch in den Motiven, die jemanden veranlassen können, Atheist zu werden. So gibt es hier zum einen die Gruppe derjenigen, die aufgrund einer vernunftbetonten Lebenseinstellung Probleme mit Dingen haben, die nicht rational erklärt werden können, und die deshalb nicht an Gott glauben können. Vermutlich sind solche Vertreter des Atheismus bereits atheistisch erzogen worden. Dabei ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sie heimlich diejenigen beneiden, die Gott für real halten und daraus Kraft und Hoffnung schöpfen können. Man könnte hier von einem "verkappten Theismus" oder "frommen Atheismus" sprechen, wie man ihn auch bei Agnostikern finden kann.

Einer anderen Gruppierung von Atheisten gehören diejenigen an, die religiös erzogen worden sind, in ihrer Kindheit und Jugend häufig an Gottesdiensten teilgenommen haben, die sich aber irgendwann durch den Kontakt mit Lehrern, Pfarrern etc., die den christlichen Glauben autoritär-repressiv praktiziert und ihnen das Bild eines unbarmherzigen, strafenden Gottes vermittelt haben, von der Religion abgewandt haben. Solche Personen sind also vor allem deshalb Atheisten geworden, weil sie sich nicht länger von einer Autorität vorschreiben lassen wollten, wie sie zu leben haben. Ihre Ideale sind Selbstbestimmung und die ausschließliche Orientierung an der Vernunft. Diese "Lebensphilosophie" gipfelt in der Überzeugung, dass es sich bei Gott um ein "menschengemachtes Phänomen" handelt und er in Wirklichkeit gar nicht existiert.

Die Angriffsziele der "Neuen Atheisten"

Die Überzeugung, dass der Glaube an Gott nicht nur unsinnig ist, sondern sogar schädlich, ist von den sogenannten "Neuen Atheisten" radikalisiert worden. Dabei handelt es sich um eine atheistische Bewegung, der Wissenschaftler angehören, die unter Führung des Evolutionsbiologen Richard Dawkins für eine "Welt ohne Religion" kämpfen. Im Gegensatz zu den bisherigen gemäßigten Atheisten wollen also die radikalen "Neuen Atheisten" die Religionen ganz abschaffen. Diese sind ihrer Meinung nach die Ursache aller Missstände auf der Welt, insbesondere von Krieg und Terror. Ein Schlüsselerlebnis war dabei für sie der Anschlag von islamistischen Terroristen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001.

Zu welch absurden Vorstellungen Religiosität führen kann, zeigt nach Ansicht der "Neuen Atheisten" auch die christlich-fundamentalistische Bewegung in den USA, die als Kreationismus bezeichnet wird. Genau genommen handelt es sich hier um eine bestimmte Variante des Kreationismus bzw. der Lehre vom "Intelligent Design", deren Anhänger den biblischen Schöpfungsbericht wörtlich nehmen und entsprechend die Schöpfungstage als Kalendertage begreifen. Demnach hätte ein Schöpfer vor 6000 bis maximal 12000 Jahren zuerst die Erde erschaffen und anschließend alle Lebewesen, so wie wir sie heute kennen. Demgegenüber ist für die "Neuen Atheisten" die von Charles Darwin konzipierte Evolutionstheorie die einzig plausible Erklärung für die Entstehung und Weiterentwicklung des Lebens auf der Erde.

Der "Glaubenskrieg" um die Evolutionstheorie

Der Evolutionstheorie zufolge hat sich alles Leben auf der Erde aus verschiedenen Urformen entwickelt. Dabei sind die verschiedenen Arten durch natürliche Selektion entstanden. Das heißt: Es hat jeweils der an seine Umwelt am besten Angepasste überlebt – nicht "der Stärkste", wie häufig irrtümlich behauptet wird. Darwin nennt dies "Survival of the Fittest". Bei diesem Ausleseprozess haben auch willkürliche Mutationen und Zufälle eine große Rolle gespielt. Aus Sicht der Evolutionstheorie verläuft also die Entwicklung der verschiedenen Arten von Lebewesen nach dem Prinzip der natürlichen Auslese oder Selektion mit all ihren Zufälligkeiten.

Für Atheisten sind diese Erkenntnisse der Evolutionstheorie unvereinbar mit dem Glauben an einen Schöpfergott. Dabei wird von ihnen die große Rolle, die die Religion in der Menschheitsgeschichte gespielt hat und immer noch spielt, unterschiedlich beurteilt. So ist für den Evolutionsbiologen Randolf Menzel, einem gemäßigten Atheisten, der Glaube an Gott als die Ursache von allem ausgesprochen hilfreich und nützlich; vielleicht sei er sogar der tollste Trick der Evolution - auch wenn er auf einem tiefen Irrtum beruhe.

Ganz anders argumentiert Richard Dawkins und umreißt damit die Position des radikalen Atheismus zur Evolution des religiösen Glaubens. So spricht Dawkins in seinem Buch "Der Gotteswahn" der Religion jeglichen auch noch so kleinen Nutzen für die menschliche Entwicklung ab. Aus diesem Grunde verdammt er nicht nur den Missbrauch von Religionen für politische Zwecke, sondern möchte sie - wie oben gezeigt - ganz abschaffen. Nach Expertenmeinung argumentiert Dawkins damit auf der Basis eines materialistischen Weltbildes, das für alle Lebensbereiche Gültigkeit haben soll. Man könnte auch sagen: Der Atheismus nimmt hier selbst die Gestalt einer Glaubenslehre an.

Die Sinnfrage

Wie problematisch die Weltsicht des radikalen Atheismus ist, wird besonders deutlich, wenn man sich mit der Frage beschäftigt, was die radikalen Atheisten an die Stelle des religiösen Glaubens setzen wollen. So hat die Evolutionstheorie nach Ansicht des Biologen Franz Wuketits gezeigt, dass die Evolution kein Ziel habe und deshalb auch keinen Sinn. Gleichwohl habe die Evolution des Menschen dazu geführt, dass dieser dazu fähig sei, aber auch das Bedürfnis habe, nach dem "Sinn des Ganzen" zu fragen. Und daher rühre der Glaube an Gott oder mehrere Götter. Wenn aber die Götter dem menschlichen Gehirn entsprungen sind, könne der mit Vernunft begabte Mensch sie auch wieder abschaffen und seinem Leben selbst Sinn verleihen.

Dem könnte man entgegenhalten, dass da, wo kein Sinn ist, es auch nicht möglich ist, selbst einen Sinn zu bestimmen. Denn wo kein Sinn ist, gibt es auch keinen Maßstab, um etwas als besser oder schlechter, als gut oder böse zu beurteilen. Alles erscheint gleichermaßen sinnlos. In einer Welt, so wie die Atheisten sie haben möchten, gibt es mit anderen Worten keine ethische Grundlage für das Treffen von Entscheidungen.

Man könnte in diesem Zusammenhang auch fragen, warum die angeblich keinen Sinn beinhaltende Evolution überhaupt ein Lebewesen hervorgebracht hat, das die Sinnfrage stellt und warum dieses angeblich durch eine "Laune der Evolution" entstandene Lebewesen überhaupt in der Lage ist, sich mit der Sinnfrage zu beschäftigen, denn dieses setzt voraus, dass hier etwas Immaterielles existiert, nämlich ein Bewusstsein, ein Selbst, das über sich hinausweist und sich damit selbst transzendiert. Nun gehen die radikalen Atheisten aber davon aus, dass alles, was existiert - also die Sterne, die Erde, die Menschen, die Tiere - aus nichts weiter besteht als Materie. Wie kann aber etwas Immaterielles von rein Materiellem hervorgebracht werden?

Kann der Gegensatz von Schöpfung und Evolution überwunden werden?

Wie der Philosoph, Professor für Zoologie und Jesuitenpater Rainer Koltermann überzeugend dargelegt hat, wird in der Debatte zwischen Theisten und Atheisten von beiden Seiten ein grundlegender Fehler begangen, der auf wissenschaftstheoretischer Ebene zu verorten ist. Das heißt: Es werden hier ständig wissenschaftliche Zuständigkeiten durcheinandergeworfen bzw. wissenschaftliche Grenzen überschritten. So wird versucht, Probleme, die in den Zuständigkeitsbereich der Naturwissenschaft fallen, mit Hilfe der Philosophie oder Theologie zu lösen, und es werden umgekehrt Antworten auf philosophische oder theologische Fragen in der Naturwissenschaft gesucht.

Man kann hier auch von der Verwechslung unterschiedlicher Sprachspiele sprechen. Konkret heißt das, dass "Schöpfung" in das philosophisch-theologische Sprachspiel gehört, "Evolution" aber nicht, während man umgekehrt im naturwissenschaftlichen Sprachspiel nur etwas über "Evolution" sagen kann, nicht aber über "Schöpfung". Deshalb kann ich auch aus naturwissenschaftlicher Perspektive nicht beurteilen, ob es einen Schöpfergott gibt oder nicht, während ich aus philosophisch-theologischer Perspektive nicht etwa die Evolutionstheorie zurückweisen kann.

Man kann auch sagen, dass Naturwissenschaft und Philosophie bzw. Theologie jeweils nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit abbilden, dass ich die ganze Wirklichkeit nur dann erfassen kann, wenn ich davon ausgehe, dass sie ihre Existenz Schöpfung und Evolution verdankt. Das heißt: Auch wenn ich die Evolution als einen sich selbst organisierenden Prozess begreife, kann ich trotzdem davon überzeugt sein, dass dahinter eine höhere Intelligenz, ein Schöpfergott, steckt. Um mit Koltermann zu sprechen: Als ein Wesen, das absolut, ewig, unendlich, nicht-materiell, personal ist, ist Gott die Möglichkeitsbedingung für das kontingente, das nicht-notwendige, Sein aller Lebewesen und damit auch für ihre Veränderlichkeit in der Evolution. Schöpfung geschieht im Phänomen der Evolution. Gott ist der transzendentale Grund der Eigenbewegung der Welt. - Oder, wie Max Planck, der Begründer der Quantenphysik, es formuliert hat: "Materie an sich gibt es nicht, es gibt nur den belebenden, unsichtbaren, unsterblichen Geist als Urgrund der Materie, den ich nicht scheue, Gott zu nennen."

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Atheismus

http://www.tagesspiegel.de/wissen/religion-und-naturwissenschaften-der-glaube-ist-vielleicht-der-tollste-trick-der-evolution/1638180.html

http://www.horizonworld.de/atheismus-ist-gottlosigkeit-die-religion-unserer-zeit/

http://www.soulsaver.de/glaube/atheismus/

http://www.theeuropean.de/wolfgang-huber/5995-atheismus-und-die-bedeutung-von-religion

https://www.hss.de/fileadmin/migration/downloads/070210_RainerKoltermann_01.pdf

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