Der "nette" Psychopath von nebenan
"Die Psychopathen sind unter uns" – könnte eine Schreckensmeldung lauten. Umso wichtiger sind möglichst umfassende Informationen über diese schwere psychische Erkrankung.Die Instrumentalisierung der Empathie durch den Psychopathen
Im oben genannten Artikel habe ich deutlich gemacht, dass es genau genommen zwei Arten von Empathie gibt, nämlich eine kognitive und eine emotionale. Das heißt: Man muss unterscheiden zwischen einer kognitiven Perspektivenübernahme, einem gedanklichen Hineinversetzen in andere Menschen, und einer wirklichen emotionalen Resonanz, einem wirklichen Mitfühlen und Mitleiden, wobei die sogenannten Spiegelneuronen die hirnphysiologische Grundlage für alle empathischen Reaktionen sind. Bei Psychopathen wurde nun beobachtet, dass sie zwar die kognitive Fähigkeit zur Empathie besitzen, nicht aber die emotionale. Hinzukommt, dass sie sich nur dann gedanklich in ihre Mitmenschen hineinversetzen, wenn sie es wollen, wenn sie also der Ansicht sind, dass es ihnen nützen könnte. Im Grundzustand besitzen Psychopathen also weder die kognitive noch die emotionale Empathie; sie können aber "bei Bedarf" die Fähigkeit zur - kognitiven - Empathie einschalten.
Ein Psychopath kann sich sogar, eben weil er nur die kognitive Fähigkeit zur Empathie besitzt, besser in seine Mitmenschen hineinversetzen und erkennen, was diese bewegt, als andere. Und das hilft ihm, diese zu seinen Opfern zu machen. Gerade aufgrund seiner Fähigkeit zur Empathie "auf Abruf" kann ein Psychopath also andere Menschen für seine Zwecke einspannen und manipulieren. Gleichzeitig kennt er, weil ihm die Befindlichkeiten seiner Mitmenschen völlig egal sind, dabei keinerlei Skrupel, und dann, wenn andere Menschen durch sein Handeln Schaden genommen haben, empfindet er weder Schuld noch Reue. Spätestens zu diesem Zeitpunkt zeigt sich die emotionale Kälte des Psychopathen, seine Unfähigkeit zum Mitfühlen und Mitleiden, seine Raubtiermentalität, die er zuvor unter einer Maske aus oberflächlichem Charme und falscher Freundlichkeit verborgen hatte.
Die Schlüsselcharakteristika des Psychopathen im Überblick
Insgesamt kann man Psychopathen charakterisieren als:
- Blender mit vorgetäuschter Freundlichkeit
- Perfekte Lügner
- Meister der Manipulation.
Weitere wesentliche Merkmale sind:
- Ein erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl bis hin zum Größenwahn
- Ein Mangel an Gewissensbissen oder Reue
- Eine mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen
- Oberflächlichkeit bzw. Desinteresse an Menschen und Dingen
- Gefühlskälte einschließlich der Unfähigkeit zum Mitgefühl und zum Empfinden von Angst
Wenn ein Mensch all diese Eigenschaften und Verhaltensweisen zeigt, ist er mit Sicherheit ein Psychopath.
Wie verbreitet ist die Psychopathie?
Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge hatte ein erwachsener Mensch mittleren Alters in seinem Leben mit einer Wahrscheinlichkeit von annähernd 100% mit mindestens einem Psychopathen zu tun. Diese "Trefferquote" überrascht nicht, denn allein in Deutschland sollen mindestens 500.000 Psychopathen leben. Nach Schätzungen des kanadischen Psychopathie-Experten Robert D. Hare kommt auf 100 Männer über 18 Jahren ein Psychopath. Eine andere Schätzung ist noch beunruhigender, denn danach ist von 25 Personen einer ein leichter bis schwerer Psychopath. Folglich hat man es bei vier bis fünf Prozent der Bevölkerung mit Psychopathen zu tun.
Da Psychopathen jedoch nicht verrückt sind, sondern mitunter sehr intelligent, und genau wissen, was richtig und was falsch ist, landen sie nicht automatisch im Gefängnis oder in der Psychiatrie, sondern vielen gelingt es, ihre Persönlichkeitsmerkmale so zu nutzen, dass sie beruflich sehr erfolgreich sind. Und zwar findet man solche erfolgreichen Psychopathen in allen Bereichen der Gesellschaft. Besonders attraktiv sind für sie natürlich die Führungsetagen großer Unternehmen sowie politische Spitzenämter. Denn hier können sie ihren Hunger nach Geld, Macht und Einfluss stillen. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass man hier einen weitaus höheren Anteil an Psychopathen findet als in der Gesamtbevölkerung. Aber auch der Beruf des Chirurgen ist für Psychopathen attraktiv.
Der Einfluss psychosozialer Faktoren
Es hängt von psychosozialen Einflussfaktoren ab, ob ein Psychopath kriminell wird oder nicht, ob er also Bankräuber wird oder Bankdirektor, Serienkiller oder Staatssekretär. Die Skrupellosigkeit des Betroffenen ist die gleiche, nur die Mittel sind andere. Dass viele Psychopathen trotz ihrer Raffinesse im Gefängnis landen, zeigt der hohe Anteil von Psychopathen unter Strafgefangenen. So sind Untersuchungen zufolge 20 bis 30 Prozent der Gefangenen in US-Gefängnissen Psychopathen. Ähnlich sieht es in Deutschland aus. Hier sollen zwischen 25 und 40 Prozent der Gefängnisinsassen Psychopathen sein. Vor allem bei den Schwerverbrechern mit einer hohen Rückfallquote ist die Psychopathie der "Normalfall".
Typen von Psychopathen
Genau genommen gibt es nicht "den Psychopathen", wie schon der Unterschied zwischen den Psychopathen zeigt, die "auf die schiefe Bahn geraten", und denjenigen, denen es gelingt, ein sozial unauffälliges Leben zu führen und vielleicht sogar aus ihrer Psychopathie im wahrsten Sinne des Wortes "Kapital zu schlagen". Man kann auch sagen: Psychopathen sind generell amoralische und asoziale Wesen, aber ihre Psychopathie ist unterschiedlich ausgeprägt. Deshalb gibt es verschiedene Typen von Psychopathen, nämlich den Narzissten, das Opfer, den Hochstapler, den bösartigen Psychopathen, den professionellen und den sekundären Psychopathen.
- Narzissten streben ständig nach Aufmerksamkeit, Bewunderung, Anerkennung und Verehrung. Sie erwarten deshalb von anderen Menschen, dass diese ihr narzisstisches Bedürfnis befriedigen. Tun diese das nicht oder nicht in ausreichendem Maße, werden sie vom Narzissten gnadenlos fallengelassen.
- Das Opfer ist die Paraderolle für weibliche Psychopathen. Sie spielen hier das hilflose, schutzlose "Weibchen", das sich nach einem fürsorglichen Mann sehnt. Wenn ein Mann dann darauf hereinfällt, wird er emotional und finanziell ausgesaugt, bis nichts mehr übrig ist.
- Beim Hochstapler müssen wiederum zwei Typen voneinander unterschieden werden, nämlich der kleine und der große Hochstapler. Das heißt: Während der kleine Hochstapler vor allem als Trickbetrüger in Erscheinung tritt, kann der große Hochstapler ganze Unternehmen ruinieren.
- Der bösartige Psychopath macht durch besonders widerwärtige Verbrechen von sich reden. Bösartige Psychopathen "bevölkern" die Hochsicherheitstrakte der Gefängnisse.
- Der professionelle Psychopath ist das absolute Monster unter den Psychopathen, denn aus der Gruppe der professionellen Psychopathen stammen die Diktatoren, deren Herrschaft in der Regel Millionen Menschen das Leben kostet, sowie die ganz großen Hochstapler, die die Wirtschaft eines Landes und unter Umständen sogar die Weltwirtschaft in den Abgrund reißen, aber auch Religionsführer mit kriegerischen Ambitionen.
- Sekundäre Psychopathen sind Menschen, die erst nachträglich zu Psychopathen geworden sind, und zwar durch Traumatisierung und/oder durch Mitgliedschaft in einer Organisation, die von einem professionellen Psychopathen geleitet wird. Aber auch die Einwohner von Ländern, die von professionellen Psychopathen regiert werden, können letztlich zu sekundären Psychopathen werden.
Ein Blick in das Psychopathen-Hirn
Schon lange sind die Hirnforscher davon überzeugt, dass sich die Gehirne der Psychopathen von den Gehirnen psychisch gesunder Menschen unterscheiden, konnten dies aber nicht beweisen. Inzwischen verfügen sie über ein Verfahren, das Aktivitätsmuster im Gehirn sichtbar macht, nämlich die funktionelle Magnetresonanztomografie – man spricht hier auch von "Hirnscanner" - und können damit einen Blick in das Psychopathen-Hirn werfen.
Dabei wurde festgestellt, dass bei Psychopathen ein Defekt im paralimbischen System vorliegt. Und das überrascht nicht, denn dieses Hirnareal färbt unsere Erfahrungen und Wahrnehmungen emotional und legt somit die Grundlage für Empathie, ist aber auch für Aufgaben wie Impulskontrolle und moralische Entscheidungen zuständig. Bei Psychopathen scheint dieses Hirnareal nicht aktiv zu sein. Ferner zeigen Psychopathen keine Gehirnaktivität in Arealen, die mit dem Furchtsystem zusammenhängen. Das erklärt, warum Psychopathen keine Angst vor den Konsequenzen ihrer Taten haben und so "kaltblütig" sind. Nach Ansicht des Tübinger Hirnforschers Niels Birbaumer ist die Furchtlosigkeit sogar das grundlegende Problem der Psychopathen. Erst daraus ergebe sich ihr Mangel an Empathie.
Andere Forscher vermuten, dass Psychopathen Gefühle wie Angst und Empathie ausblenden, wenn sie ein Ziel verfolgen. Bei Psychopathen werden mit anderen Worten laufende Denkvorgänge, die auf ein lukratives Ziel ausgerichtet sind, nicht unterbrochen, wenn Reize auftreten, die vor einer Bestrafung warnen. Diese werden einfach nicht wahrgenommen. Die Forscher sprechen hier von einer Hyperfokussierung auf das Ziel und bringen diese in Zusammenhang mit einem generellen Aufmerksamkeits-Flaschenhals im präfrontalen Kortex – in dem sich die Hirnnetzwerke für Empathie und Emotionen befinden. Das heißt: Der präfrontale Kortex ist mit der kognitiven Fokussierung so ausgelastet, dass er Signale, die das Angst- oder Empathienetzwerk aktivieren könnten, weitgehend abblockt.
Bei Experimenten mit schwerkriminellen Psychopathen zeigten Aufnahmen des Hirnscanners aber auch, dass Psychopathen zu Schmerzempathie fähig sind, wenn man ihnen Videoclips von Menschen zeigt, die unter Schmerzen leiden, und sie auffordert, sich in die Schmerzgeplagten hineinzuversetzen. Man könnte auch sagen: Übt man den nötigen Druck aus, sind ihre Spiegelneuronen durchaus in der Lage, zu feuern.
Können Psychopathen therapiert werden?
Für viele Forscher geben die Ergebnisse der Untersuchungen des Psychopathen-Hirns mit dem Hirnscanner Anlass zu der Hoffnung, dass man Psychopathen vielleicht doch therapieren, dass man sozusagen das "Böse" aus ihren Gehirnen "wegtrainieren" könnte. Denn die Untersuchungen haben ja ergeben, dass die Hirnareale, die für tiefe Emotionen wie Angst und Empathie zuständig sind, bei Psychopathen nicht fehlen, sondern lediglich inaktiv sind und dass die Fähigkeit zur Empathie aktiviert wird, wenn die Forscher dazu auffordern. Damit wurden frühere Beobachtungen bestätigt, dass Psychopathen ihre Fähigkeit zur Empathie "im Bedarfsfall" anschalten, wobei es sich aber lediglich um kognitive Empathie zu handeln schien.
Nun hat sich aber gezeigt, dass Psychopathen, wenn sie der Aufforderung zur Empathie nachkommen, sogar zu emotionaler Empathie fähig sind, also offensichtlich sogar mitfühlen können. Was bei ihnen fehlt, ist das spontane Aktivieren der kognitiven und der emotionalen Empathie. Sinnvoll sind folglich Therapieansätze, die darauf abzielen, dass in Psychopathen-Hirnen empathische Reaktionen automatisch in Gang kommen. Aber ebenso wichtig ist, dass die Psychopathen lernen, Furcht zu empfinden, denn dann nehmen sie die Konsequenzen ihrer Taten nicht mehr blind in Kauf.
Natürlich können therapeutische Maßnahmen nur bei Menschen funktionieren, die freiwillig kooperieren und eine Veränderung herbeiführen wollen. Aussichtslos sind deshalb Therapieversuche bei Psychopathen, die – wie es Robert Hare beschreibt - davon überzeugt sind, dass mit ihnen alles in Ordnung ist, dass es vielmehr die anderen sind, die eine Fehlfunktion haben. Aber wenn man wenigstens einige Psychopathen "bekehren könnte", wäre sicherlich schon viel erreicht.
Da die Hirnforscher heute über den Hirnscanner verfügen, können sie an Hand der Aufnahmen vom Gehirn auch beurteilen, ob sich ein Psychopath durch eine Therapie wirklich verändert hat, oder ob er dies nur vortäuscht. Im Übrigen empfehlen die Experten, dass wir alle – ob Psychopathen oder nicht – versuchen sollten, unsere Empathie durch gezieltes Training zu steigern. Es wäre sicherlich auch wünschenswert, dass sich alle Personen, die Führungspositionen in Politik und Wirtschaft anstreben, einem "Psychopathentest" unterziehen.
Ursachen der Psychopathie
Eine mögliche Ursache der Psychopathie könnte darin bestehen, dass Psychopathen niemals – aus welchen Gründen auch immer - empathiefördernde Lernprozesse durchlaufen haben. Hier sind also die - angeborenen – Spiegelneuronensysteme nicht trainiert worden und deshalb verkümmert, so dass keine spontanen emotionalen Reaktionen möglich sind. Wie bereits angedeutet, kann Psychopathie aber auch nachträglich durch Traumatisierung entstehen. Und zwar kann es sich dabei um ein Trauma infolge eines Unfalls, einer Sucht oder roher physischer und/oder psychischer Gewalt handeln, wodurch der Teil des Frontalkortex zerstört worden ist, in dem sich die Empathie und das Gewissen befinden. Das Fehlen eines Automatismus empathischer Reaktionen und von anderen tiefen Emotionen könnte aber auch durch einen genetischen Defekt in den dafür zuständigen Hirnregionen verursacht worden sein.
Voran erkennt man im Alltagsleben einen Psychopathen?
Dass viele Psychopathen unter uns leben und es verstehen, sich perfekt zu tarnen, ist natürlich beunruhigend. Die gute Nachricht ist, dass es relativ einfach ist, sie trotz ihrer Tarnung zu erkennen. So sollte es einem immer zu denken geben, wenn jemand, mit dem man öfter Umgang hat, immer wieder Eigenschaften und Verhaltensweisen zeigt, die eigentlich nicht zu ihm passen. Konkret heißt das: Von einem Menschen, den man normalerweise als freundlich und umgänglich erlebt, geht mitunter eine Kälte aus, die einen schaudern lässt.
In diesem Fall sollte man umgehend den Gähntest machen. Da bei Psychopathen die Spiegelneuronen nicht funktionieren, gähnen sie nämlich, wenn jemand in ihrer Gegenwart gähnt, nicht mit. Bei jemandem, der sich vom Gähnen anderer nicht anstecken lässt, ist also Vorsicht geboten. Eigentlich ist es auch eine alarmierende Erkenntnis, dass fast alle Psychopathen Männer sind. Scheinbar ist in der Evolution des Mannes Einiges "schief gelaufen". Sollte man deshalb als Frau die Gegenwart von Männern meiden? Das ist wohl weder wünschenswert noch realistisch. Notfalls kann man ja immer noch gähnen und abwarten, was passiert.
Quellen:
https://www.dasgehirn.info/denken/im-kopf-der-anderen/psychopathen-eine-welt-ohne-empathie
http://www.tagesspiegel.de/wissen/hirnforschung-psychopathen-fuehlen-mit-bei-bedarf/8545950.html
http://www.spektrum.de/news/empathie-nur-auf-kommando/1202046
http://www.freiwilligfrei.info/archives/5581
Alle Bilder: pixabay.com
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Die 7 wichtigsten Dinge im Leben)