Deutsches Theater Berlin: Christian Schwochow – Kritik von "Gift"
Premiere des Dramas von Lot Vekemans. Ulrich Matthes und Dagmar Manzel in einem Kammerspiel mit kargem Interieur.Ulrich Matthes 2012 (Bild: © Wikipedia/Scott Hendryk-Dillan)
Leiden macht süchtig
Die Inszenierung kommt ohne Musik aus, Hausregisseur Stephan Kimmig hingegen hätte wahrscheinlich zu sanften Arien gegriffen, um ein unterschwelliges Pathos hinzuzumischen. Die Frau (Dagmar Manzel) agiert als Trauerkloß, der die seelische Rekonvaleszenz immer noch nicht zum Abschluss gebracht hat und sich in seinem Schmerz windet, als fühle sie sich in diesem gewohnten Zustand geborgen. Auch die Figur von Ulrich Matthes kommt zu der Erkenntnis, dass Leiden süchtig mache und fordert das zwangsweise Aufsuchen einer Entzugsanstalt. Immerhin kann der Mann souveräner mit dem Leiden umgehen, er verließ seine Gattin, um Abstand zu gewinnen und einen Neuanfang in der Normandie zu wagen. Mitunter verfällt Matthes in eine wohlwollende Herablassung, und die Frau reagiert mit graziösen bis direkten Sticheleien, die auf sein ihrer Ansicht nach restriktives Reflexionsvermögen abzielen.
Wühlen in den Abgründen der Vergangenheit
Viel kann man aus dieser Vorlage nicht herausholen, das 2-Personen-Drama lebt von den Dialogen – und vom Personal: Schwochow dachte wohl, Matthes und Manzel werden es schon reißen. Nun, für Matthes-Anhänger mag es ein Genuss sein, ihn beim öffentlichen Kaffeetrinken, beim Öffnen einer Weinflasche zu beobachten. Wie er seine Kehle ölt, wie das knistert und prasselt! Matthes liefert Altbewährtes und spielt manchmal sich selbst, und das nicht schlecht. Die Gespräche klingen so vertraulich, als habe sich das Paar erst vor einigen Tagen getrennt und wühle noch verzweifelt in den Abgründen der Vergangenheit. Der Mann nimmt trotzdem Rücksicht auf ihre Verletzlichkeit, als er feststellt, sie sehe älter aus, korrigiert er sich sofort. Sie sehe weiser und reifer aus.
Abtasten und Übergang zum Frontalangriff
Um die Figuren herum herrscht Niemandsland und Verlassenheit, das Wartezimmer ist eine gänzlich ausgetrocknete Oase. In dieser vollständigen Isolation tauchen subtile Invektiven wie von selbst auf, die aber mitunter halb zurückgenommen werden, schließlich muss man es miteinander aushalten, auch wenn man sich umkreist, abtastet und zum Frontalangriff übergeht. Formulierungen des anderen werden als Fragesatz wiederholt, nach dem Motto: Meinst du das wirklich im Ernst? Schäkereien und verbale Liebkosungen kommen über Ansätze nicht hinaus, immerhin hebt Dagmar Manzel gegen Ende ihren Kollegen hoch. Beim Papiergewicht Matthes ist das relativ einfach, zumal Dagmar Manzel über mehr als einen Hauch von Fußballerwaden verfügt, die auf eine gewisse körperliche Robustheit schließen lassen. In Lot Vekemans Drama hat der Mann richtige Rettungsringe, doch Matthes ist ein Prachtexemplar des Typus des Leptosomen. Ein weiteres Drama des sinnlosen Wartens. Insgesamt eine Inszenierung, die man ohne Langeweile mitnimmt, die aber keine nachhaltigen Spuren hinterlassen wird.
Gift
von Lot Vekemans
übersetzt von Eva Pieper und Alexandra Schmiedebach
Regie: Christian Schwochow, Dramaturgie: John von Düffel, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüm: Pauline Hüners, Licht: Heimhart von Bültzingslöwen.
Mit: Dagmar Manzel, Ulrich Matthes.
Premiere vom 9.11. 2013
Dauer: ca. 90 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)