Natali Seelig, Lorna Ishema, Andreas Pietschmann

© Arno Declair

 

Du sollst – aber niemand will

Auf der Bühne findet eine zweistöckige Rundfahrt statt. Die jeweiligen Gebote werden auf Tafeln – oder wo sonstwo noch Platz ist - geschrieben. Dass Gott eine undemokratische Alleinherrschaft beansprucht und einen Polytheismus rigoros ablehnt, ist auch Clemens Meyers Aufmerksamkeit nicht entgangen. Der erhitzte Ole Lagerpusch liefert hierbei eine Pyjama-Show ab. Übersteigertes Ehrgefühl ist dann Thema von Lorna Ishema und der rustikalen Natali Seelig, eine Szene, die in eine inquisitorische Befragung mündet. Beim auf Video gezeigten 5. Gebot (Regie: Jan Soldat) treiben es drei Männer mit ihren SM- und Masochismus-Sehnsüchten auf die Spitze: Ihr delikatester Sonderwunsch ist es, in Einzelteile zerlegt und verspeist zu werden. Hier sind die schrill-morbiden individuellen Ambitionen stärker als jede Gottsuche, die ohnehin, so glauben sie, in den Religionsunterricht für Kinder gehört. "Du sollst nicht töten": Wie verhält sich dazu eigentlich der gigantische Waffenexporteur BRD? Dieser Frage nachzugehen, wäre vielleicht sinnvoll gewesen. Beim Gebot "Du sollst den Feiertag heiligen" werden einige eher einfältige Bürger*innen befragt. Ein Opa denkt da vor allem an Essgewohnheiten, an das Luxusessen Kartoffelbrei mit Leber am Sonntag. Für das Publikum ist das alles ganz lustig, so auch das apathische Café-Gespräch zwischen Ole Lagerpusch und Benjamin Lillie, das in cool ausgestoßenen Rauchschwaden und Erschlaffung versumpft und in gegenseitigem Übertrumpfen von Immoralitäten gipfelt.

 

Man erfährt viel von Unmoral

Eine Nummer jagt die andere, es ist ein Nummernrausch. Die Szenen sind in sich abgeschlossen, verweisen nicht auf einander und reihen sich auch nicht ein in einen alles überwölbenden Gesamtzusammenhang. Die 10 Gebote, so war anzunehmen, werden analysiert, aber dabei wird eher der Unmoral gehuldigt. Das Bestreben einiger Texter war es wohl, besonders geistreiche und extravagante Beiträge abzuliefen, die sich gut bespielen lassen, ohne das Thema allzu ernst zu nehmen. Und in der Tat, es spritzt und funkelt zuweilen auf der Bühne, die Schauspieler*innen drehen auf. Gut konsumierbare Unterhaltung mit Originalitätsanspruch, das ist wohl das anvisierte Ziel. Aber es gibt auch Durststrecken – Aki, Una und Zeno mit drei permanent erwähnten Granatsplittern im Kopf, wen interessiert denn das wirklich? Manchmal ist diese Unterhaltungshow einfach nur stumpf und ziellos, wegen der Überlänge wird der optische und rezeptive Apparat oftmals in einem Maße überstrapaziert, dass man die plötzlich verschollenen ersten Szenen mühsam aus dem Gedächtnis herausgraben muss. Humorvoller Scharfsinn statt analytischer Geist – ein verschenkter Abend ist das dennoch nicht.

10 Gebote
Uraufführung

Regie: Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Andreas Pietschmann, Benjamin Lillie, Judith Hofmann, Lorna Ishema, Natali Seelig, Ole Lagerpusch, Helmut Mooshammer, Markus Graf, Wiebke Mollenhauer.

Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 21. Januar 2017
Dauer: 4 Stunden, eine Pause

© Arno Declair

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