Roland Schimmelfpennig beim Erhalt des Nestroy-Preises 2009

© Manfred Werner / Wikipedia

 

Eine abenteuerliche Romantik: Eine zarte Biene auf dem breiten Rücken des Wals

Schimmelpfennig, ein mit hohen Preisen dekorierter, vielgespielter Dramatiker, hat wieder einmal auf seine ihm scheinbar zugeflogenen surrealen Inspirationen gelauscht und sie nahezu zügellos umgesetzt. Die Gefilde des Phantastischen haben es ihm schon immer angetan. Schon das Thema entfesselter Partnertausch - die Paare penetrieren lustvoll nebeneinander in getrennten Zimmern zur gleichen Zeit - erreicht locker und mühelos den Bereich des Grotesken. Das war dem Stückeschreiber nicht ausreichend genug: Ein weiteres Liebespaar entwickelt sich, eben der Rezeptionist (Sven Prietz) und eine junge Frau (Anne-Marie Lux, auch Klavier spielend), die auf einem Berg haust. Das Märchenhafte hält feierlich Einzug. Die junge Frau hält sich für eine Biene, die in ihrer tosenden Hilflosigkeit vom breiten Rücken eines Wals gerettet wird. Ein umhertastendes Frauenbienchen, das sich nach den kräftigen Schultern eines starken Mannes sehnt: Die repressive Adenauer-Unkultur ist perfekt. Als einmaliges Bild ist das erträglich, aber Schimmelpfennig, überzeugt von seiner poetischen, suggestiven Metaphernkraft, bleibt sich treu und variiert das Ganze stets aufs Neue, als habe er zu viel Thomas Bernhard gelesen. Nur ist der in seinen scheinbar unpoetischen Variationen wesentlich zwingender.

 

Natur ist stärker als die Technik

Kominski bemüht sich um eine adäquate Bebilderung, um die – von ihm nicht wahrgenommenen - Missgeschicke der Vorlage ins Zumutbare zu wenden. Das gelingt ihm teilweise, hat er doch einen wahren Talentschuppen auf der Bühne versammelt. Auf der Papierwand sind Zeichnungen zu finden, von illustrierten Betten und anderen Dingen, zudem werden Hinweisschilder aufgefahren. Bei Japan mag manch einer an den populären Maler Hokusai denken, eine anderer vielleicht an Haiku-Aphorismus-Gedichte. Zu sehen und zu hören ist davon wenig, genauso gut möglich wäre eine Kamikaze-Assoziation – eben in Gestalt des Tsunamis. Vielleicht will Schimmelpfennig mit seinem Text die Technikverherrlichung anprangern. In der Tat bringt Technik auch Unheil mit sich – aber haben nicht Naturkatastrophen, die bis in die heutige Zeit reichen, nicht viel mehr Unglück zustande gebracht? Wer die Technik dämonisiert, sollte auch nicht fliegen – nach Japan zum Beispiel. Mittlerweile lässt sich konstatieren, dass Schimmelpfennig, der früher großartige Texte schrieb (gerade auch für das Deutsche Theater), seit Jahren auf der Stelle tritt. Er ist in einer Krise, wiederholt sich nur noch und kopiert sich selbst, nur schlechter. Kominski und seine beachtliche Truppe haben das Unternehmen gerade noch tolerierbar gemacht.

An und Aus
von Roland Schimmelpfennig
Nationaltheater Mannheim, Gastspiel im Deutschen Theater Berlin
Regie: Burkhard C. Kosminski, Bühne: Florian Etti, Kostüme: Lydia Kirchleitner, Musik: Hans Platzgumer, choreographische Mitarbeit: Jean Sasportes, Licht: Nicole Berry, Dramaturgie: Ingoh Brux.
Mit: Ragna Pitoll, Reinhard Mahlberg, Katharina Hauter, Sven Prietz, Stefan Reck, Fabian Raabe, Hannah Müller, Anne-Marie Lux.
Dauer: ca. 100 Minuten, keine Pause

 

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