Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Auerhaus" – Nora Schlocker
Die Regisseurin Schlocker bringt den Erfolgsroman von Bov Bjerg auf die Bühne. Sechs 18-jährige Schüler*innen gründen eine WG, weil sie anders sein wollen als die anderen.Am Anfang dominiert der Zusammenhalt (Bild: © Arno Declair)
Keine vorprogrammierte Zukunft
Die Kostüme, meistens schlichte Straßenkleidung, werden häufig gewechselt. Wie zur Bestrafung des Publikums entblößt sich der sehr kräftige Franken bis zur Unterhose. Auerhaus, benannt nach dem von Madness stammenen Lied "Our House", das 1982 in New-Wave-Kneipen gern aufgelegt wurde, Auerhaus ist auf der Bühne ein rechteckig angelegter Sandkasten. Die Insassen, krampfhaft auf ein "igendwie" Anderssein setzend, wollen nicht so dahinvergetieren wie die angeblich verbohrten, spießigen Mitschüler*innen, deren berufliche Zukunft schon vorprogrammiert scheint. Selbst Cäcilia (Lisa Hrdina), Knospe reicher Eltern, weigert sich, das ihr winkende Erbe anzutreten. Die Elternehe ist nach 20 Jahren gescheitert, so hören wir. Heutzutage, wo schneller gewohnt und schöner geatmet wird, wäre sie als gelungen eingestuft worden, weil die beiden eine so lange Strecke durchgehalten haben. Hinzu kommen noch der hochgradig homosexuelle Harry (Božidar Kocevski), die im Roman als bildhübsch bezeichnete Brandstifterin Pauline (Elena Schmidt) und Vera (Maike Knirsch), die es mit der Ernsthaftigkeit der Partnerschaft nicht so genau nimmt. Wenn jemand Frühstück holen will, bedeutet das, dass die Waren unbezahlt herangeschafft werden. Zwischendurch tauchen auch mal zwei, drei Schauspieler*innen als verkleidete Vorgreise auf.
Triumph des Unkonventionellen
Nora Schlocker, die bei der letzten DT-Inszenierung das Kinderstück "Alice" aufführte (Premiere am 8.2. 2015), hat sich nun ganz auf die Jugend eingelassen, altersmäßig betrachtet immerhin eine rasante Steigerung. Nach der Pause findet eine Silvesterparty mit Schulkameraden, Homosexuellen und einigen von Frieders Psychatrie-Kollaborateuren statt, die unfreiwillig von den hereinströmenden Zuschauer*innen "dargestellt" werden. Es ist dies ein Triumph des Unkonventionellen. Doch ganz so normabweichend und lernfaul sind sie denn doch nicht: Kohlers Höppner erhält bei einer Klausur 15 Punkte, eine glatte Eins, eine superglatte sogar, denn das ergibt eigentlich eine O,75 oder 1+. Ein wacherer Geist als etwa Frieder, den der wieder Schwerstarbeit leistende Franken zwischen ruppigem Halbcharme und unberechenbarer Empfindlichkeit ansiedelt. Vera ist eine Frau, die sich bei Männern gern durchreichen lässt und damit Not-Homosexualität aufgrund defizitärer Erotik verhindert. Die erst 21-Jährige, aus dem Jungen DT stammende Maike Knirsch kann auch tragisch, recht routiniert sogar. Bedauerlicherweise nehmen sich die WG-Mitglieder derart viele individuelle Freiheiten heraus, dass sie darob die Freiheit anderer vergessen. Und so zerplatzt die künstlich aufgepumpte Seifenblase, die, für einige Dauer angelegt, sich als ephemer erweist. Für jene, die zum Jahrgang von Bov Bjerg gehören und die damalige Zeit miterlebt haben, ist die Rekapitulierung der Vergangenen eine feine Sache. Kein Meisterwerk zwar, aber eine flotte, ansprechende Inszenierung.
Auerhaus
nach dem Roman von Bov Bjerg
Fassung von Nora Schlocker und Birgit Lengers
Regie: Nora Schlocker, Bühne: Jessica Rockstroh, Kostüme: Caroline Rössle Harper, Musik: Albrecht Dornauer, Licht: Thomas Langguth, Dramaturgie: Birgit Lengers.
Mit: Božidar Kocevski, Maike Knirsch, Marcel Kohler, Christoph Franken, Lisa Hrdina, Elena Schmidt.
Kammerspiele, Deutsches Theater Berlin, Kritik vom 22. Mai 2017.
Dauer: 150 Minuten, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)