Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Baal" – Stefan Pucher
Premiere in den Kammerspielen. Bertolt Brechts frühes Drama kann heute niemand mehr schockieren. Baal ist sternentrunken, liebesbegierig und von raubtierhafter Gefräßigkeit.
Plakat der Aufführung
Schnaps als Inspirationsquelle und Antriebsfaktor
Auf der Bühne sitzen auf Podesten zwei Statuen, ein nackter Mann und eine nackte Frau, nicht ganz so heroisch dreinblickend wie Arno-Breker-Figuren. In der Mitte thront ein runder Turmbau, eine Art Miniveranda als Ausguck. Darunter gehen einige Stege ab, auf denen sich die Darsteller gelegentlich bewegen. Eine kleine Wohnnische gibt es überdies, karg, unmöbliert und bleiern. Hier wälzt sich Christoph Franken als Baal, weil seine Mutter (Anita Vulesica) den Schnaps mit Wasser vertauscht hat. Das Fehlen des Treibstoffes kann einem schon sauer aufstoßen, und seine Mutter wünscht sich wie fast alle Mütter einen tatkräftigen Sohn, der einer geregelten Arbeit nachgeht. Baal aber tritt auf in einem üppigen renaissanceähnlichen Kostüm, das herrschaftlich aussieht und Ausdruck eines Lebensgefühls ist, das nicht gegen das herrschende System opponiert, sondern, ganz im Gegenteil, es noch forciert. Aufzehren und verschlingen kann man nur, wenn für ein opulentes Depot und ausreichend Nachschub gesorgt ist. Baal ist ein Verfechter des Warenfetischismus, er nimmt alles und gibt nichts, es sei denn, seine bloße Existenz ist für andere etwas zum Mitnehmen.
Anbetung von Mond und Sternen
Der Regisseur Pucher hat diesmal bei seinen Videos mehr Raffinement entwickelt. Sie sind keine überflüssigen Illustrationen oder fragwürdigen optischen Reizmittel mehr, sondern Ergänzungen, die sogar zur Inszenierung passen. Zum Glück hat er sich des bunten Popgeglitzers enthalten und Bilder voll praller Sinnlichkeit und süßer Düsternis eingewoben. Tabea Bettin läuft seitlich die Reihen entlang und filmt mit ihrem Smartphone das Publikum, das dann auf der Leinwand zu sehen ist. Christoph Franken ist zugleich Erzähler und Darsteller: Er berichtet über Baal, deklamiert und spielt ihn selbst. Diese Lösung ist nicht unbedingt der Königsweg, aber der Inszenierung nicht abträglich. Auffallend ist die Übertreibung der Naturlyrik, die vom jungen Brecht Besitz ergriffen hatte, doch manchmal etwas abgegriffen wirkt und keine sprachlichen Weihen erklimmt. Diese Einbettung und Anbetung von Mond, Himmel und Sternen traut man dem moralischen Rohklotz, der über Freundesleichen geht, nicht so ohne Weiteres zu. Die Freunde Johannes (Daniel Hoevels) und Ekhart (Felix Knopp) sind manchmal nur Stichwortgeber, optische und akustische Akzente der Ich-zentrierten, selbstentfaltungssüchtigen, selbstentblößenden Hauptperson.
Barocke Üppigkeit ohne Sinnlichkeit
Auf einem Video sieht man Franken, wie er gerade mit saftverschmierten Mund eine geschälte Orange vertilgt. Genauso hält er es auch mit den Frauen: Sie werden ausgepresst wie Obst und landen dann, wenn die entsaftete Frucht und die trockene Schale übrigbleiben, im Abfall seiner hastigen, auf Selbstinszenierung bedachten Geschichte. Grobe Zurückweisungen gehören quasi zu seinem Geschäft, so verhält es sich mit Emilie (Anita Vulesica), Johanna und Sophie (beide Tabea Bettin). Anscheinend besitzt dieser Baal eine magische Anziehungskraft auf Frauen – nur wird das von Brecht lediglich behauptet, aber nicht deutlich gemacht. Dass die Wahl für diese Rolle auf Christoph Franken fiel, ist jederzeit vertretbar, allerdings versprüht er in seiner barocken Üppigkeit nicht über eine solche Sinnlichkeit, die Frauenherzen zu entflammen vermögen. Immer wieder zieht es Baal aus Inspirationsgründen in den Wald, wo ihm Figuren in Bärenkostümen begegnen – ein Auftritt, der in seiner märchenhaften Darstellung kaum diskutabel scheint. Hinzu kommt eine museale, gänzlich antiquierte Orgel, die an die 60er- und 70er-Jahre erinnert, als wolle Pucher die Zuschauer kurzzeitig in ein geistiges Inferno schicken. Zu allem Unglück leidet dieser Grenzenlose auch noch an Hybris: Ohne etwas Verwertbares geschrieben zu haben, verkündet er die Publikation eines Buches, das ihm 20 000 Mark einbringen wird. Hochmut kommt vor dem Fall, Lebensgier mündet in Dichterwahn. Am Himmel erscheinen Baals Fettflecken. Stefan Pucher ist keine große Inszenierung gelungen, aber eine durchaus sehbare mit ansprechenden Sequenzen.
Baal
von Bertolt Brecht
Regie: Stefan Pucher, Bühne: Barbara Ehnes, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Christopher Uhe, Video: Chris Kondek, Phillip Hohenwarter, Dramaturgie: Claus Caesar, Licht: Thomas Langguth.
Mit: Christoph Franken, Daniel Hoevels, Tabea Bettin, Anita Vulesica, Felix Knopp,
Musik: Michael Mühlhaus, Felix Knopp.
Premiere: 29. November 2014
Dauer: 1 Stunde, 50 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)