Aufführungsplakat

© Steffen Kassel

 

Fiktive und echte Lebensgeschichten

Dennoch nehmen die Regisseure ihr Stück verdammt ernst, und die Zuschauer erhalten Kopfhörer, damit das Visuelle vom Auditiven getrennt wird. Nach einer kurzen einfühlsamen Einführung durch die Schauspieler ertönen zunächst behagliche Vogelgeräusche, dann sind als visuelle Vorbereitung zwei Fenster und eine Tür auf der Leinwand auszumachen. Jeder der drei Akteure darf nun eine kleine Todeserfahrung erzählen, den Beginn macht Markwart Müller-Elmau, der als Kriegsgeborener als Erstes die Leiche eines türkischen LKW-Fahrers entdeckte, einen archaischen Geruch einatmete und viel über die Anatomie im Allgemeinen und Besonderen kennenlernte. Katrin Wichmann erzählt von einem Theaterprojekt, bei dem im Baggersee ein afrikanischer Flüchtling ertrank. Und ein Fast-Tod der Mama ist es, von dem Thorsten Hierse Bericht erstattet. Erzählte fiktive und echte Lebensgeschichten – einer nach dem anderen! – sind mittlerweile Mode geworden, aber da es sich um einen Theaterabend handelt, werden auch klassische Theatermotive aufgegriffen. Markwart Müller-Ellmau, noch der charmanteste und spontan-kreativste Schauspieler der Aufführung, erinnert sich an einen Auftritt als König Lear. Er fühlte sich halbtot, sank in den Orchestergraben und wollte "den clownesken Auftritt in einen Triumph umwandeln". Aus dem privaten Halbtod wird ein gespielter Tod – Applaus.

 

Der vielsagende Einsatz von Kunstblut

Neben den zahlreichen, wenig aussagekräftigen Leinwandbildern wird auch gespielt. Müller-Elmau hantiert auf einem Tischchen mit minimalen Blutsäcken herum, die am Ende seines Vortrags größer werden. Klar, er redet von Mayenburgs "Nibelungen" in der Schaubühne, wo in diesem respektierten, aber im Grunde lästigen Konkurrenzunternehmen etliches Kunstblut die Bühnentreppe herunterfloss. Und dann Thalheimers Inszenierung im Deutschen Theater – demonstrativ präsentiert Müller-Elmau einen stattlichen Blutsack. Rechts am Tisch wird Essen zubereitet, das dann auf der linken Bühnenseite auf kaum designten Holzablagen abgestellt wird. Eine gänzlich sinnfreie Aktion: Derartige Bühnenhandlungen erinnern in fataler Weise an experimentelle Performance-Produktionen in der Freien Szene, wo man sich zwar viel vornimmt, aber durch ein Sammelsurium von in sich abgeschlossenen theatralen Einlagen zum anvisierten Erkenntnisgewinn so gut wie gar nichts beiträgt. Egal, was das Regieduo noch auftischt (z.B. ein ambitioniertes Quiz-Ratespiel nach Art des Privatfernsehens) – es ist nur ein Spiel mit Todesarten. Am Ende wird noch der finale, erzwungene Dauereskapismus zelebriert. Thomas Hierse wird erschossen und windet sich unter Spasmen, bis er endlich darniederliegt und den Raum freimacht für seine Kollegen. Was würde man nicht "vorher" alles tun, rein improvisiert? Müller-Elmau würde unter anderem einen Regenbogen erklettern und für Wohlstand sorgen, Wichmann denkt an einen gepflegten Garten und an Tolstoi und Dostojewski. Letztlich ist es eine Versuchsanordnung über Todesarten im Performancestil. Wenn Auftrag: Lorey mehr im Sinn hatten als Information, makabres Spiel und Unterhaltung, ist es ein verschenkter Abend.

Back to Black

von Auftrag: Lorey

Regie: Bjoern Auftrag, Stefanie Lorey, Sound/Video: Georg Klein, Ton: Richard Nürnberg, Licht: Peter Grahn, Dramaturgie: Hannes Oppermann.

Mit: Katrin Wichmann, Markwart Müller-Elmau, Thorsten Hierse.

Deutsches Theater Berlin

Uraufführung vom 22. September 2015

Dauer: 90 Minuten

 

 

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