Sophie Rois

© Arno Declair

 

Leidenschaft oder Geld

Sonderlich tief geschürft wird nicht – Pollesch war noch nie ein Garant für Tiefenanalyse -, doch es wird schon ein wenig unter die Oberfläche geschaut. Bernd Moss wirft die Frage auf über die Diskrepanz zwischen einem aufstiegswilligen Talent und einem verbissenen Karrieristen. So schwer ist das eigentlich nicht: Der ehrgeizige Parvenu will nach oben, wo sich der Karrierist schon befindet, der noch höher hinaus will, bis hinein in die Chefetagen. Die heftigsten Rededuelle liefert sich Sophie Rois mit Bernd Moss, der zuweilen wie auf einer Empore im Rang hockt und versucht geistreich zu palavern. Christine Groß und Judith Hofmann bilden den fragenden und analysierenden Unterbau, ohne entscheidend in die Performance einzugreifen. Die Diskussion darüber, ob die Figur von Rois für ihren Auftritt bezahlt habe oder nicht, mit Leidenschaft oder Geld – geschenkt. Ihr Bühnenauftritt ist bereits angenehm gehobenes Komödiantentum, fernab von Krachledernheit. So komisch es klingen mag: Sie produziert ein charmantes Krächzen, das jederzeit in verbale Aggressivität oder subtile Feinnervigkeit umschlagen kann. Ihre Bandbreite ist erstaunlich, nur eins kann sie nicht: Eine wahrhafte Tragödin spielen. Ihr Gegenpart Bernd Moss wirft die Frage nach den inneren Werten in den Raum. Sie plädiert für den inneren Wert des Scheins, genauer: Des Geldscheins. Nun, für hartnäckig überzeugte Kapitalisten liegt die Relevanz des Geld-Scheins in der Freiheit. Die kann man sich zuweilen erkaufen. Später liefern sich Sophie Rois und Bernd Moss ein Fechtduell, bei dem selbstverständlich kein Sieger hervorgeht.

 

Das Gleiche wird immer neu variiert

Es kommt einem vor, als habe man das alles schon einmal gehört, nur anders. Pollesch, ganz zurück zu den Wurzeln, scheint an die großen Stücke der Nuller-Jahre anzuknüpfen. Cappuccetto Rosso, Strepitolino – i giovanotti disgraziati, L'affaire Martin! Occupe-toi de Sophie!..., Diktatorengatinnen – als er noch in Hochform war, die später allerdings nachließ und endlose Diskursschleifen nur von guten Schauspieler*innen (z.B. Wuttke, Stangenberg, in München Sandra Hüller) gerettet werden konnten. Pollesch, der Variationskünstler des Gleichen, wie ein Musiker immer wieder alte Rhythmen aufgreifend und neu zusammenstellend, hat sich sichtlich erholt und zu neuem Verve gefunden, obwohl die Aufführung doch sehr leicht ist. Ärgerlich ist allerdings eine Invektive gegen Udo Lindenberg, die vom Chor vorgetragen wird. Man kann doch Lindenberg nicht den Vorwurf machen, dass er "Sonderzug nach Pankow" in der DDR nicht gesungen hat. Das waren die Auflagen der Nomenklatura-Funktionäre, "bei Zuwiderhaltung" hätte das Konzert nicht stattfinden können. Es ist, als würde man der Berliner Schaubühne vorwerfen, den Publikum einbeziehenden Demokratie-Teil in China aus Feigheit unterlassen zu haben. Pollesch ist zuweilen ein eloquenter, espritreicher Schaumschläger, ein intellektueller Hochstapler mit Niveau. Trotz einiger Abzüge: Ihm ist eine munter-flockige Inszenierung gelungen.

 

Cry Baby
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Barbara Steiner, Kostüme: Tabea Braun, Chorleitung: Christine Groß, Licht: Cornelia Gloth, Dramaturgie: Anna Heesen, Bernd Isele.
Mit: Sophie Rois, Christine Groß, Bernd Moss, Judith Hofmann und einem Chor.

Deutsches Theater Berlin, Premiere war am 7.9.2018, Kritik vom 13.9.2018
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

 

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