Jörg Pose, Barbara Schnitzler

© Arno Declair

 

Der Vater kann den ersten Schlag abwehren

Die Verfilmung von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov wurde von Anne Lenk abgeklopft und auf ihre Weise adaptiert. Die Zuschauer*innen sitzen in einem hinter den Kammerspielen gelegenen Raum auf zwei gegenüberliegenden Tribünen. Dadurch ensteht eine wohnliche, beinahe familäre Stimmung, als sei das Publikum ein Teil des Festes. Die beiden angegreisten Altvorderen Jürgen Huth und Katharina Matz sitzen quasi im Publikum. Während er mimisch mitspielt und ein würde-, ja weihevolles Gesicht aufsetzt, sitzt sie gestenlos und unbewegt daneben. Liedchen zum Abgewöhnen, die aus der Rumelkammer der Adenauer-Ära stammen könnten, werden unter Beteiligung des Publikums angestimmt. Nur die Tochter Helene (Lisa Hridina) fällt auf durch Exaltiertheit und gleichzeitige Verletzlichkeit, ihr Partner Kemal (Thorsten Hierse) muss Anspielungen bezüglich seiner Herkunft über sich ergehen lassen. Als Christian (Alexander Khuon) zu einer Rede anhält und die in ihn verliebte Jugendfreundin Pia (Franziska Machens) an seinen Lippen hängt, lässt er alles heraus, alles. Khuon bleibt dabei gefasst und reserviert, als habe er den Schmerz in sich hineingefressen. Die Festteilnehmer*innen reagieren erstaunlich gelassen, wollen der Geschichte nicht ganz glauben, zumal Helge (Jörg Pose) als Souverän die dunkle Offenbarung als Phantasterei hinstellt, die einem überbordendem, erfinderischem Gemüt entsprungen ist. Die Figur genießt Autorität, obwohl sie sich, für Pose nicht untypisch, etwas gespreizt und gestelzt artikuliert. Und die Frau? Bei Else (Barbara Schnitzler), eigentlich nur ein Zubehör, sollte man lieber von Helges Gattin sprechen.

 

Gut aufgebaute Spannung in der zweiten Hälfte

Mit der Zeit wird der Abend brüchiger, vor allem Christian legt an Ruppigkeit zu, in einem Maße, dass er zweimal nach draußen befördert und einmal sogar an einen Baum gefesselt wird. Die Spannung steigt – Anne Lenk macht das ganz clever. Der jüngste Sohn Michael (Camill Jammal) beispielsweise attackiert vorurteilsbeladen Kemal, der sich im falschen Film wähnt. Jetzt ist endlich das totale Chaos im Anzug, und dann taucht auch noch der Abschiedsbrief der Tochter Linda auf, die sich angesichts der Scham vor der Zeit das Licht ausgeblasen hat. Jetzt ist alles raus. Helge, der seine Kinder mehr liebte als üblich, ist allein schon durch Christians Blick verurteilt: Khuon bohrt sein Augen vernichtend in Poses Gesicht. Der Sturz der "Großen" ist vollbracht, Helges Ausflüchte versanden und er und seine Gattin werden des Raumes verwiesen. Nur die Alten und der in einem anderen Zeitalter lebende Onkel Leif (Michael Gerber) verstehen den Aufstand nicht und halten traditionsgemäß zu Helge. Nach einem schlaffen Beginn ist Anne Lenk fast der Sprung ins große Theater gelungen, zumal sie die Herausarbeitung der Akteur*innen handwerklich präzis und gestisch gut rüberbringt. Sie hat nicht nur einen Film adaptiert, sondern auch den DT-Stil. Es ist nicht so, dass sie sich nach ihrer Berlin-Ankunft in Windeseile verkhuont hätte. Sie huldigt einem Inszenierungsstil, den es schon in der Wilms-Ära und während Interimsboss Reese gab. Dies ist reinstes Ensemble-Theater mit differenziert gefeilten Charakteren, die sich ganz aufs Spiel einlassen, jenseits von überflüssigem Gebrüll, grellen Verschmocktheiten und Requisitenüberladungen.

Das Fest
von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov
Bühnenbearbeitung: Bo hr. Hansen
Deutsch von Renate Bleibtreu
Fassung von Anne Lenk und David Heiligers
Regie: Anne Lenk, Bühne: Halina Kratochwil, Kostüme: Sibylle Wallum, Musikalische Leitung: Leo Schmidthals, Licht: Marco Scherle, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Franziska Machens, Alexander Khuon, Thorsten Hierse, Jörg Pose, Lisa Hrdina, Camill Jammal, Anita Vulesica, Barbara Schnitzler, Jürgen Huth, Katharina Matz, Michael Gerber, Bernd Moss, Kinder: Damian Fink, Josefine Jellinek, Lea Metscher, Leosander Scheithauer.

Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 20. Januar 2017
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten keine Pause


 

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