Der Arzt ist kein frömmelnder Sinnsucher

Die vier Schauspieler*innen (Henrike Johanna Jörissen, Miriam Maertens, Christian Baumbach, Milian Zerzawy) aus dem Schauspielhaus Zürich tragen zu Beginn hellblaue Lederjacken, dazu Konfektionspilotenbrillen, was die beiden Frauen wie Sekretärinnen aussehen lässt. Milian Zerzawy hält eine Öllampe, als sei er das (Stellvertreter-)Licht der Welt. Nun muss man bei einer Öllampe nicht gleich an die Kirche denken, aber der Gedanke liegt nahe, da die Akteur*innen im Chor immer wieder gebetsmühlenartig eine Bibelstelle heruntersingen, bei der noch Extras und Fortsetzungen hinzukommen. Ein Opfergang, wie gesagt wird? Mitnichten, denn Tim (Christian Baumbach) verweist wiederholt mit Nachdruck darauf, dass er kein unkritisch-frömmelnder Sinnsucher sei. Trotzdem wirken einige Szenen von Regisseurin Lily Sykes wie ein interner, höchst privater Katholikentag, und das auf einer Bühne, die einer breiten, abschüssigen Laderampe vor einer Kabinenkette im Rohbau gleicht. Es ist nur ein Gerippe – transparente Kojen ohne Trennwände. Da ein Arzt auch ein lebendiges Privatleben hat, treten die ob des fragwürdigen Entschlusses entsetzten Familienmitglieder auf, und zwar in Gestalt vom Vater (Milian Zerzawy), der Mutter (Miriam Maertens) und der Partnerin (H. J. Jörissen).

 

Die Familie will den eigenwilligen Arzt nach Kräften zurückhalten

Der Autor Dominik Busch betrachtet den eidgenössischen Philosophen Fritz Oser als Inspirationsquelle, speziell für dieses Drama. Aber dabei wurde dieses Thema schon längst in einem Roman von Graham Green (Das Ende einer Affäre) abgearbeitet und auch mehrmals verfilmt, zuletzt 1999 von Neil Jordan. Ein Liebespaar trifft sich, und während eines Bombenangriffs droht der Liebhaber zu sterben. Die Frau ringt sich zu dem Gelübde durch, dass sie ihn für immer verlassen werde, wenn er nur gerettet würde. Und so zerbirst eine glühende Seelengemeinschaft. Tims Vater sagt: "Man geht nicht, wenn man liebt". Wirklich? Anscheinend existiert noch eine höhere Macht, die selbst die intensivste Liebe überstrahlt. Amor fati. Wäre das fatale Gelübde nicht, so würden die Familienmitglieder vermutlich von einem ethnisch geprägten Helfersyndrom sprechen. Was ja bei diesem Beruf so selten nicht vorkommt. Im Übrigen ist ein Wechsel in ein afrikanisches Krankenhaus kein sozialer Abstieg. Aber man liebt halt, also will man ihn dabehalten, vor allem unter Hinzuziehung von manipulativen rationalen Gründen. Mit seiner Partnerin kommt es noch zu einer rührenden Kuschelszene, die aber an seinem seelisch indifferent gewordenen, nur noch von einer überwältigenden Vision erreichbaren Gemüt scheitert. Die Kraft des Unendlichen, was auch immer das sein mag, ist stärker als die quasi hervorsprudelnden Rationalargumente des entrüsteten Vaters. Christian Baumbach, dessen Lächeln auf den Backen ein Konkav hervorzaubert und das Gesicht ins Teigige wendet, versucht in seiner Darstellung Beton anzurühren. Die Worte aus seiner alles abblockenden Betonburg kommen für die verständnislose Außenwelt als Stahlwerksinfonie herüber. Immerhin zeigt Dominik Busch, dass in einer Zeit der Technikfetischisierung und der instrumentellen Vernunft sich auch höhere Prinzipien Geltung verschaffen, die von einem Menschen unerklärlich Besitz ergreifen. Die Inszenierung ist akzeptabel, aber der Text wirkt, na ja, schon etwas konstruiert.

Das Gelübde
von Dominik Busch
Uraufführung
Regie: Lily Sykes, Bühne und Kostüm: Jelena Nagorni, Musik: David Schwarz, Licht: Daniel Leuenberger, Dramaturgie: Irina Müller.
Mit: Milian Zerzawy, Henrike Johanna Jörissen, Christian Baumbach, Miriam Maertens.

Deutsches Theater, Uraufführung vom 24. Juni 2016
Dauer: 90 Minuten, keine Pause

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