Alexandra Finder, Manuel Harder ...

Alexandra Finder, Manuel Harder, Linda Pöppel, Barbara Schnitzler (Bild: Arno Deklair)

Wegräumen und Aufräumen sind das Ziel

Zum Dekor – eine vollgehängte Wäscheleine gibt es auch - gehören drei unterschiedlich verlagerte Arm-Plastikskulpturen, die an römische Imperatoren und an Michelangelos "Die Erschaffung Adams" erinnern. Bei der Gestaltung der Unterkunft handelt es sich allerdings nicht um einen Interieur-wütigen 20-jährigen Freak, sondern um die etwa 60-jährige Hausherrin (Barbara Schnitzler), die piepsig und kehlig herumnölt, als wolle sie Margit Bendokat ersetzen. Der eigentliche Booster ist die lebenstrunkene Tochter Martha (Linda Pöppel) – sie will weg, überreden und verwendet dazu Zynismus, Ironie und Kalauer. Jeder neue Hotel-Gast ist ein potentielles Opfer. Den Gedanken, dass jeder Beseitigte die Polizei neugierig macht, hat Camus überhaupt nicht reflektiert. Und da, ein neuer Gast trifft ein, es ist Jan (Manuel Harder), der 20 Jahre lang abwesende Sohn der Herbergsmama, anrückend mit einer halbwegs bezaubernden Gattin (Alexandra Finder), die er allerdings sogleich wegschickt, um sich der Intensivverwandtschaft anonym und inkognito anzunähern. Denn er sieht nicht mehr so aus wie vor zwanzig Jahren. Und die Umgebung, auf die er trifft, sieht, welch Überraschung, auch ganz anders aus. Der Heimkehrer, kalauernde Dauergespräche mit der ahnungslosen offensiven Schwester Martha führend, nimmt wahr, dass ständig gekehrt wird, ohne dass es sauberer wird. Eine Sisyphos-Arbeit. Genauso verschmutzt sind die Seelen der habgierigen Frauen-Abteilung. Man kann sie nicht mehr reinigen, der Selbstentwurf ist auf Morden eingerichtet.

 

Rockige Show und schauriger Rock

Die Eigentlichkeit im Heideggerschen Sinne wird nirgendwo erreicht. Man befindet sich im Man-Modus und begeht Fahrerflucht: Nach der Auslöschung des unentdeckten Sohns Jan durch Tee gerät Schnitzlers zu spät informierte Mama in einen Furor des Leidens, dem sie durch verspäteten Selbstmord – besser: freiwilligen Freitod – entrinnt. Linda Pöppel spielt, als sei der Totentanz ein Spektakel und der Tod des Bruders verkraftbar, will ihm aber nachfolgen. Die einzige "Normale" in diesem Lebensgeschäft ist Finder als Jans Gemahlin. Jung, knusprig, unbedarft und kraftvoll fordernd – sie spielt ganz anders und hat sich auf ihre Weise aus der Szenerie ausgeklinkt. Jan selber: Der starke Manuel Harder legt eine Show mit absichtlich psychoanalytisch deutbaren Halbsätzen hin und verkörpert einen verhinderten Macher, der sich nach dem Tod selbst bandagiert. Die schweren Stiefel der Fremdenlegion sind da schon längst abgelegt. Das Ganze könnte man als Rock-Schauspiel betrachten – wenn der ausgewählte Soundtrack nur nicht so deplatziert und schlecht wäre. Aber die Figurenverbindungen in dieser angenommenen Absurdität und Höhlen-Atmosphäre sind schon gewaltig. Es gibt viel Licht, der Schatten ist vorprogrammiert.

 

Das Missverständnis
von Albert Camus
Eigene Fassung, übersetzt von Guido G. Meister
Regie: Jürgen Kruse, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Sophie Leypold, Licht: Thomas Langguth, Dramaturgie: Juliane Koepp.
Mit: Alexandra Finder, Manuel Harder, Linda Pöppel,Jürgen Huth, Barbara Schnitzler, Anne Makosch, Sophia Sachs, Leonard Däscher.
Deutsches Theater Berlin, Kammerspiele, Kritik vom 6. Dezember 2017

Dauer: 135 Minuten, keine Pause

 

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