Elfriede Jelinek

© G. Huengsberg/Wikipedia

 

Die Jungfrau und ihre Erlöser

Durch die Kombination des Jelinek'schen Sprachgewitters mit Bibel-Anklängen erhält das Gericht einen sakralen Beigeschmack, als seien geweihte Richter gerade dabei, die apokalyptischen Sortierarbeiten aufzunehmen, um gut und böse zu trennen. Der Regisseur Johan Simons lässt auch Engel (Steve Scharf, Wiebke Puls, Benny Claessens) und Propheten auftreten: Ein Strafprozess mit dem Angebot heil'ger Offenbarung. Die Verhandlungen – und Gesänge – im Saal fließen recht gleichförmig dahin, abgesehen von Thomas Schmauser, der als Richter geradezu Verve versprüht und seine Worte sehr aufgekratzt ins Auditorium schleudert, mit der Würde seines Hochamts. Die Ouvertüre des Werks setzt mit einem etwas ruppigen Charme ein, Stefan Hunstein prangert polternd und brüllend das Wegsehen und Nicht-Gewussthaben an und ist dabei einem Geist verpflichtet, der sich in humanistischer Tradition um Wahrheit und Gerechtigkeit bemüht. Was Jelinek einmal bei Beate Zschäpe einfällt, ist nicht einmal diskutabel: Sie ist eine Jungfrau, die zwei Erlöser gebiert, und zwar Uwe (Mundlos) und Uwe (Böhnhardt). An ihnen war es, das Erbe des Tausendjährigen Reichs anzutreten und trotz aller Misshelligkeiten der Zeit voranzutreiben. Jelinek betreibt eine Mythisierung, wie es die damaligen selbsternannten Vordenker auch getan haben, nur dass die Autorin dabei entlarven will.

 

Sie nehmen den Rat nicht mit, aber die Räder

In einem Jelinek-Stück muss man gewöhnlich ihre Wortspielereien ertragen. Manchmal gelingen ihr tatsächlich Wortkombinationen, die Denkansätze schaffen, einen Sinn ergeben und einen Erkenntniszuwachs bedeuten. Aber wenn Jelinek sagt: "Die Wahrheit spricht nicht, daher entspricht ihr alles", dann ist das bestenfalls ein Knochen für jene, die glauben, hier werde besonders tief gedacht. Was ist den alles? Und dieses alles soll sich entsprechen? Wenn die Wahrheit schweigt, ist sie außerhalb der Sprache, sie kann also mit Sprache gar nicht ermittelt werden. Doch es kommt noch schlimmer: Wenn etwas gesprengt wird, weist Jelinek daraufhin, dass der Rasen nicht gesprengt wird. Und: "Sie treten in die Pedale, weil sie nichts anderes zu treten haben"; "Sie nahmen den Rat nicht mit, aber die Räder." Hier dominiert nur noch die Freude am Wortspiel, ohne dass dabei neue Zusammenhänge sichtbar werden, als würden im Gras hockende Jugendliche ihre Zeit mit lustigen Knobeleien hinbringen. Dazwischen, quasi en passant, ist die Dichterin wieder auf Wahrheitssuche. Wir müssen der Wahrheit dienen, lässt sich Steven Scharf vernehmen. In Wahrheit sind wir alle Diener der Wahrheit, ausgenommen die Staatsdiener, denen es niemals an den Kragen geht. Mitunter wird Jelinek politisch-kritisch, um dann wieder daran zu erinnern, dass sie nur ein Flaneur des Geistes ist. Zu diesen langwierigen Wortmassen gestellt sich eine Musik, die ohne Mühe dissonante Töne erreicht, die bestens geeignet sind zum Martern von Verurteilten. Als hätten sie ein Erbarmen, gehen die Musiker gelegentlich über zu melodischeren Klängen. Die Täter-Eltern (Annette Paulmann, Hans Krämer) geben noch am ehesten Aufschluss darüber, warum der Nachwuchs so wurde, wie er war. Die aufgebrachten Veteranen sind DDR-sozialisiert und angesichts der Honecker-Ära von nostalgischen Reminiszenzen geleitet, die im Verbund mit den tagesaktuellen Frustrationen einen reaktionären Mix ergeben. Insgesamt ist die Wahrheitsfindung eine Platte, die sich immer auf der selben Stellte dreht. Aus diesem Text-Konvolut hat Johan Simons ein Gesamtspektakel geschaffen, das trotz einiger Widrigkeiten immer noch ein wenig beeindruckt.

Das schweigende Mädchen
von Elfriede Jelinek
Regie: Johan Simons,, Bühne: Muriel Gerstner, Kostüme: Klaus Bruns, Musik: Carl Oesterhelt, Musiker: Gertrud Schilde, Salewski, Sachiko Hara Licht: Wolfgang Göbbel, Dramaturgie: Tobias Staab.
Mit: Thomas Schmauser, Annette Paulmann, Steven Scharf, Benny Claessens, Wiebke Puls, Stefan Hunstein, Hans Kremer, Risto Kübar.

Deutsches Theater Berlin

Gastspiel vom 16. Juni 2015

Dauer: 120 Minuten, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!