Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Das weite Land" – Jette Steckel
Premiere von Arthur Schnitzlers Konversationsdrama. Ein chronischer Fremdgänger freut sich über das Fremdgehen seiner Gattin: jetzt ist er entlastet.Sofaturm als Rückzugsgebiet
Die Bühne (Florian Lösche) besteht aus einem gewaltigen Sofagebirge. Auf der linken Bühnenseite ruht ebenfalls eine Couch, Symbol für Häuslichkeit, träumerische Zweisamkeit und Innerlichkeit. Aber hierbei an Freuds psychoanalytische Couch zu denken, würde etwas zu weit führen. Obwohl Schnitzler Freuds inwendige Forschungsreisen schätzte, legte er bei seinen Untersuchungen des Inneren kein typisches psychoanalytisches Werk vor. Der futuristisch anmutende Sofaturm erinnert an die menschliche Hybris, in den Himmel wachsen zu wollen. Der Turmbau zu Babel als gigantisches, aber tristes, nebelverhangenes Legoland für Erwachsene. Und dieser vertikal angelegte Baukasten dient auch als Gebirge, als italienische Dolomiten, wo Hofreiter (Felix Goeser) und Erna (Anna Drexler) sich fast nackt und kletternd näherkommen, ohne die jähe Explosivität ihrer Lendenkraft zu erproben. Ins überschaubare Labyrinth verkriechen sich auch Genia (Maren Eggert) und Otto (Ole Lagerpusch), als seien sie auf der Flucht und benötigten ein Rückzugsgebiet.
Ulrich Matthes
© Wikipedia/ Scott-Hendryk Dillan
Besetzungen und Fehlbesetzungen
Der nicht gerade chamäleonhafte Felix Goeser spielt, was er offensichtlich am besten kann: den aasigen, kühl kalkulierenden Macher mit ein paar Leichen im Keller. Maren Eggert, der man auf der Bühne kaum einen hysterischen Ausbruch zutraut, zieht permanent ihre Schuhe aus, spielt ungewohnt fleischfreudig und forciert ihre Figur hin zur Gleichwertigkeit. Das verrostete Modell einer weiblichen Inferiorität, wie es vor hundert Jahren noch üblich war, wird hier partiell aufgehoben, obwohl Hofreiter, klebrig und einnehmend zugleich, immer noch der unangefochtene Pater familias ist. Seinem blassen Freund Dr. Mauer kann Ulrich Matthes auch nicht mehr Leben einhauchen, die biedere Sprödigkeit, die dem Wesen des Arztes anhaftet, reicht vielleicht für eine Kumpanei, aber nicht für die Entflammung der unschuldig-lebenshungrigen Erna. Matthes' Besetzung ist eine Fehlbesetzung, bei einer anderen Rolle hätte er seine unzweifelhafte Begabung besser ausspielen können. Man findet keine Empathie für diese Figur, die vierte Wand bleibt vernagelt. Sehr zurückhalten muss sich diesmal Almut Zilcher als Ottos Mutter, ihre Hausbackenheit wird nur konterkariert durch die Lederjacke und einige übertrieben selbstbewusste Töne.
Der kühle Macher wird von Schuldgefühlen geschüttelt
So sehr sich die Regisseurin Jette Steckel um eine Aktualisierung des Dramas bemüht, der anachronistische Gehalt wird zwar abgemildert, bleibt aber bestehen. Da nützt es auch nichts, einige aktuelle Sprachwendungen einzuschieben und die Generierung einer Gegenwartsnähe vorzutäuschen – so leicht lässt sich das Drama nicht ins Heute ziehen. Heute wäre eine rasche Scheidung ohne Druck und Erpressungsversuche jederzeit möglich. Und das am Ende vollzogene Duell zwischen Hofreiter und dem Fähnrich Otto gehört ohnehin ins Geschichtsarchiv gesteckt. Dass Genia fremdgegangen ist – und damit die Ehe brach -, ist für Hofreiter nur eine Freisprechung von seinen eigenen Eskapaden. Gänzlich unglaubwürdig ist der Schluss: Warum hat Hofreiter nach der Beseitigung seines Gegners plötzlich bohrende Schuldgefühle? Wie ein Jammerlappen verkriecht er sich unter der Couch und büßt mit einem Schlag das sachliche Vorausblicken, alle virile Strenge ein. Herausgekommen ist letztlich ein vollkommener Bruch mit der bisherigen Figurenzeichnung, als sei unvermittelt Dostojewski in Schnitzlers Gemüt gefahren. Immerhin entfaltet sich hier ein handwerklich gekonntes Schauspielertheater, bei dem vor allem die zurückhaltende, doch immer hochpräsente Maren Eggert hervorsticht, deren Gesichtsausdrücke diesmal sitzen. Es ist auch eine Kunst, einem Schauspieler die richtige Rolle zu geben, gerade in diesem weiten Land der Seele. Hier schreien die Seelen stumm, aber vor lauter Inwendigkeit wird alles Finanzielle, Soziale und Politische ausgeklammert – wie auf einer Insel. In diesem Sinne ist auch das Deutsche Theater momentan eine Insel, die eine bestimmte Klientel bedient, gegenwartsentrückte Geschichten erzählt und die Vorgänge außerhalb des Theaters außen vor lässt.
Das weite Land
von Arthur Schnitzler
Regie: Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners, Musik: Mark Badur, Licht: Matthias Vogel, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Maren Eggert, Felix Goeser, Ulrich Matthes, Anna Drexler, Almut Zilcher, Helmut Mooshammer, Ole Lagerpusch, Bernd Stempel, Simone von Zglinicki, Natali Seelig (Ersatz für Katrin Klein).
Premiere: 12. Dezember 1014
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)