Heiner Müller am Alexanderplatz

© Bundesarchiv/Wikipedia

 

Zwei Revolutionäre kämpfen weiter, einer wechselt das Lager

Die drei Beauftragten des Nationalkonvents, die in ferner Region ein Art französische Revolution entfachen sollen, heißen Debuisson, Galloudec und Sasportas. Auf der Bühne stehen drei Schauspieler*innen, die ganz in Blau, Weiß und Rot ihre, bzw. die Müllerschen Botschaften verkünden. Vermutlich keine sinnfreie Dekoration – glücklich jener, der die grell (ein-)leuchtende, an Peymann-Mechanismen orientierte, farbgewaltige Illustration sogleich ins französische Fach einordnet. Mit dem Revolutionsschwung hat es bald ein jähes Ende: Nach der Machtergreifung des Monarchen Napoleon wird der Auftrag hinfällig. Die Idealisten Galloudec und Sasportas kämpfen weiter – für sie handelt es sich um einen zeitlosen Dauerauftrag -, während der "Verräter" Debuisson die Wonnen der Macht erkannt hat, sie gegen die verwaltungstechnisch komplizierte Revolution eintauscht und den Sklavenboss spielt. Das Ganze wird auf mehreren Zeitebenen absolviert, der Beginn mit dem Auftaggeber Antoine nimmt den weiteren Fortgang der Handlung vorweg. Einst ein bescheidener Held der Revolution, ist er nun ein halb Verfemter, der das – auch physisch schmerzhafte - Scheitern von Galloudec und Sasportas beklagt. Der Text kommt vom Band und wird von Heiner Müller höchstselbst gesprochen, knöchern und emotionslos, und die Akteur*innen machen dazu Lippenbewegungen, ausgenommen eben Corinna Harfouch, die mit ihrem Simulationsmundwerk frei schalten und walten kann.

 

Zwischen geistiger Tiefe und Zirkusspektakel

Es passieren einige schöne Szenen an diesem Abend. Die Zuschauer sehen einen Animationsfilm, der auf einen dünnen Vorhang projiziert wird. Danton und Robespierre als Zeichentrickfiguren, der eine mit gewaltigem bürgerlichen Schmerbauch, der andere idealistisch hager, flankiert von urbanen Hochhäusern. Dabei denkt man eher an einen Boxring. Die gleichgesinnten Gegenspieler bekämpfen sich verbal und schubsen sich auch mal halbherzig, ohne dass jemand niedergestreckt würde. Darüber hinaus zeigt eine Filmszene die Revolutionäre Marx, Che Guevara, Stalin und Lenin. Lässt man einmal den missglückten Marx beiseite – er wirkt wie ein heruntergekommener Waldschrat -, so haben die Darstellungen der fragwürdigen Weltpolitiker einiges an Intensität. Das lässt sich leider nicht von allen Szenen sagen. Manches ist einfach hohles Spektakel und abgeschmackt, etwa das Tänzeln von pudelmaskigen Figuren auf einem Zirkuspodest, und dergleichen mehr. Derartige Einschübe drohen den spielerisch bis ernsthaften Text von Müller zu konterkarieren. Es gibt einige kleine Perlen im Text, die man nicht im Kopf hat und dauerhaft memorieren möchte, schließlich ist man kein eiserner Müller-Anhänger, der alles dauerpräsent hat. Poetisch formulierte, glücksversprechende, metaphysische und graue Passagen: Bedauerlicherweise gehen sie in den Clownerien halb unter. Die Ablenkung ist mitunter zu massiv. Heiner Müller und Zirkusattraktion, ein den Unterhaltungswert berechnender Versuch war's wert. Das ist in einem weiteren Sinn dialektisch, zumal Müller, so Zadek, ein geschulter Dialektiker war. Im Grunde ist diese Inszenierung ein kleiner ironischer Abgesang auf die Revolution, nicht aber auf die Errungenschaften der Revolution. Das in Berlin hinlänglich bekannte Team Kuttner/Kühnel wirft frische Rosen auf einen vermeintlichen Leichenwagen. Beim Beifall erweisen sich die wackeren Schauspieler*innen, die einem animierenden Animationsfilm unmittelbar beigewohnt haben, als Animateure großen Stils. Nach anfänglich unkräftigem Applaus machen sie eine Polonaise, Herbert Fritsch lässt grüßen. Der Beifall wird merklich dicker, wahrscheinlich hat das Publikum wieder mal nur auf die Leistungen der Schauspieler*innen reagiert.

Der Auftrag
von Heiner Müller
Koproduktion der Ruhrfestspiele Recklinghausen mit dem Schauspiel Hannover
Regie: Tom Kühnel & Jürgen Kuttner, Bühne: Jo Schramm, Anna Sörensen, Kostüme: Ulrike Gutbrod, Video: Impulskontrolle (Peer Engelbracht, Stephan Komitsch - Live-Kamera), Dramaturgie: Johannes Kirsten, Live-Musik: Die Tentakel von Delphi.

Mit: Jürgen Kuttner, Sarah Franke, Jonas Steglich, Corinna Harfouch, Hagen Oechel, Janko Kahle, Daniel Nerlich.

Deutsches Theater Berlin

Gastspiel vom 26. März 2016
Dauer: ca. 95 Minuten

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