Nis-Momme Stockmann 2009

Nis-Momme Stockmann 2009 (Bild: © Nisnos/Wikipedia)

Das Ambiente verströmt Grabesluft

Ansonsten wird ein Bühnenbild (Nicole Timm) geboten, das an Omas Zeiten erinnert. Eine geschmacklose Einbauküche rundet das Interieur-Desaster ab. Dieses Ambiente verströmt eine Grabesluft, die nach einer Weile komplettiert wird durch einen verwesten Säugling. Ja, eine gigantische aufblasbare Puppe liegt herum, eine Art Greis, der aus einer Krabbelgruppe hervorgegangen ist. Auf Video ist eine Bundesstraße zu sehen, die das Städtchen großzügig umfährt. Es gehört zu den charmanten Bosheiten von Milan Peschel, dass er einen Großteil der Inszenierung in der Einbauküche spielen lässt. Wieder einmal konnte er auf den Reibeisen-Autodidakten Martin Otting nicht verzichten, der schon bei Peschels Gorki-Inszenierungen ("Der kleine Bruder", "Sein oder Nichtsein") mitwirkte. Das brummige, wuchtige Auftreten Ottings erinnert an jemand, der einiges an Knasterfahrung mitbringt, aber auch gezielt Komik einzusetzen vermag.

 

Die wilde Seite

Wer aber nun glaubt, Peschel habe nun endgültig die Gefilde von Herbert Fritsch betreten, sieht sich getäuscht. Trotz einiger obligatorischer Slapstick-Einlagen lockt er wenig Lacher hervor. Vermutlich absichtlich. Etwas Ernsthaftes und Atmosphärisches muss herhalten, deshalb lässt er auch laut Lou Reed ("Walk on the Wild Side" ) und Fleetwood Mac ("Go Your Own Way") einspielen. Den Weg auf der wilden Seite gehen ausnahmslos alle. Immerhin gibt es noch Zeit für Einsprengsel der erheiternden Art. Einmal verknoten sich Moritz Grove und Daniel Hoevels dermaßen, dass selbst einige anwesende Kinder spontan auflachen. Zweifelsohne ist Grove der härtere Brocken, er ist aufgeladen mit Ressentiments. Und Hoevels? Der vermischt Cleverness mit heiterer Durchtriebenheit. Sie beide sind die Erzähler des Stückes, sind der Heimkehrer, der auch mal in die Rolle von Mirko schlüpft.

 

Dreck schaufeln

Kathleen Morgeneyer reißt zuweilen die Augen auf, ihr Glotzblick lässt an eine Überfunktion der Schilddrüse gemahnen, an die Basedowsche Krankheit. Freilich sind diese Blicke kalkuliert. Sie spielt ihre Figur kraftvoll, mit vorgetäuschtem Elan und streift alles Zarte, Schwebende von sich ab. Sie ist eine Kämpferin aus Überlebensgründen, ein weiblicher Popanz aus Verzweiflung. Nora ist in anderen Umständen, aber wäre ihr Leben in völlig anderen Umständen, würde sie wesentlich friedlicher daherkommen. Im Stück von Nis-Momme Stockmann hat der Kapitalismus abgewirtschaftet. Aber eine Kapitalismus-Kritik hat er nicht abgeliefert. Gewiss, das Elend des Personals ist eine Folge des Zusammenbruchs, doch die Strukturen werden nicht angegriffen. Eigentlich bräuchte man nur die Stadt zu wechseln. Am Ende schaufelt Moritz Grove einen Haufen Erde auf die Bühne und Hoevels hilft nach – eine stillschweigende Beerdigung von Mirko? Oder wird das eigene Grab geschaufelt? Insgesamt eine durchwachsene Inszenierung mit Langeweile und einigen durchaus schönen Sequenzen.

Der Freund krank
von Nis-Momme Stockmann
Regie: Milan Peschel, Bühne und Kostüme: Nicole Timm, Dramaturgie: Juliane Koepp.
Mit: Kathleen Morgeneyer, Moritz Grove, Martin Otting, Daniel Hoevels.

Deutsches Theater Berlin

Premiere vom 22.Februar 2014
Dauer: 120 Minuten, keine Pause

 

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