Auf dem Fahndungplakat: Milan Peschel

Auf dem Fahndungplakat: Milan Peschel (Bild: © Arno Declair)

Trotz Bauernschläue kein Job

Zu Beginn ist die Bühne leer, kahl, in ein Krankenhaus-Weiß eingetaucht. Dann kommt Milan Peschel und schiebt schwere Fassaden-Bauklötze auf die Bühne. Wunderbar: Geschäftsbüros, Plattenbauten und Eigenheime stehen nebeneinander, scheinbar achtlos vermischt. In Wahrheit ist es ein Querschnitt durch die Zeiten und zweifelhaften Errungenschaften der Bauingenieure, die bei den sozial Schwachen deutlich die Lebensqualität einschränken. Im Laufe des Abends werden die Köpfe der Schauspieler*innen auf die Wohnkomplexe projiziert: Peschel mit Nerd-Brille, klüger aussehend als es seine Rolle hergibt. Denn Peschel ist ein Straßenwanderer, der trotz einer gewissen Bauernschläue keinen Job bekommt, weil er nach der Entlassung keinen gültigen Pass besitzt – der Griff zur Uniform ist die letzte Verzweiflungstat eines Menschen, der sich aus seinem Joch zu befreien sucht und es nicht schafft, da ihm sein schlechtes Gewissen die Selbstanzeige vorschreibt. Normalerweise hätte Döhler diese Rolle gespielt, doch der ist abgewandert und Peschel bot sich als beste Alternative geradezu an. Seinen Kumpel und Autodidakten Martin Otting hat er gleich mitgenommen, er spielt mehrere Rollen, zum Beispiel einen Flaschensammler. In der Tat, Peschel absolviert mit seiner kauzigen berliner Schnoddrigkeit und Augen, die sich von glotziger Erweiterung in Schweinsschlitze verengen können, mit Bravour. Ein Mensch, der sich gegen die Obrigkeit und sein verlorenes Schicksal auflehnt, aber nie nach oben kommt, abgesehen von einer kurzen impulsiven Hauptmann-Additüde. Die Frauen: Katrin Wichmann macht ihre Sache recht gut. Aber warum werden sie und Lisa Hrdina mit Fettpolstern ausgestattet? Die sehr variable Steffi Kühnert geht mit nassen zurückgekämmten Haaren als Gefängnis-Wärterin etwas unter.

 

© Arno Declair

 

 

Unüberbrückbare Mauern im Kaiserreich

Das Gute an der Inszenierung sind die Darstellungen des Untertanengeistes und des Stellungsbewusstseins im preußischen Staat, im Grunde falsch verstandenes Luthertum. Solche Anzeichen gibt es heute noch zur Genüge, nur in abgemildeter Form: Man fühlt sich als frei, hört aber doch auf die Autoritäten, weil man sich einem gesetzlosen "Müssen" hingibt. Kleider und Berufsposten machen Leute. Der Regisseur Jan Bosse verschneidet geschickt die Vergangenheit mit der Gegenwart, nicht nur textlich, sondern auch durch das Bühnenbild – das ist sein Verdienst. Die staatlichen Richtlinien sind wie unüberbrückbare Mauern, die immer noch für ehemalige Knastinsassen und heutige Flüchtlinge gelten. Hätte er nur einige Effekt-Szenen weggelassen! Immerhin, das ausgesuchte Ensemble harmoniert vorzüglich. Obwohl manche Passagen nicht ganz stimmen: Eine wohltuende Inszenierung, die viel Aufmerksamkeit verdient.

 

Der Hauptmann von Köpenick
von Carl Zuckmayer

Fassung: Jan Bosse und David Heiligers
Mitarbeit: Armin Petras
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Musik: Arno Kraehahn, Video: Jan Speckenbach, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Katrin Wichmann, Martin Otting, Jan Speckenbach, Milan Peschel, Steffi Kühnert, Božidar Kocevski, Lisa Hrdina, Timo Weisschnur, Felix Goeser.

Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 21. Dezember 2017
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

 

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