Max Frisch

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Süße Melancholie mit Valium-Effekt

Der Regisseur Luz hat die Erzählung in ein Drama umgewandelt, sein Handwerkszeug sind Musik, Poesie, Sensibilität und betäubende Langsamkeit. Das Bühnenbild (Thom Luz, Wolfgang Menardi) ist auf den ersten Blick enttäuschend und auf den zweiten erst recht, und man hat nur 90 Minuten zur Verfügung, um sich daran zu gewöhnen. Nein, wir sehen keine verwilderte, sich auflösende, rissige Berglandschaft, die jeden Augenblick zu zerfallen droht. Geboten wird eine nebelumhüllte, mit Klavieren vollgestellte Bühne, auf der eine metallene Treppe zu einer Empore führt, wo hauptsächlich Ulrich Matthes als Herr Geiser agiert, der gestengewaltige Matthes, einzig verbliebener zugkräftiger DT-Großstar nach dem Weggang von Susanne Wolff. Sein Einsatz kommt spät. Bis dahin blickt man in eine Nebelwand, wo geisterhafte Schattengestalten den Laufpark bevölkern, begleitet von undramatischem, reduziertem Gitarrengeklimper mit lullaby- und Valium-Effekt, als sei das der neueste Soundtrack zum vorweggenommenen Untergang. Die Musikliste der Inszenierung weist große Namen auf: Bach, Beethoven, des Prés und Bartók. Weltschmerzgefühle Schopenhauerischer Provenienz steigen unwillkürlich auf: Süße Melancholie dringt durchs dräuende Gewölk. Silhouetten und Schattenrisse wabern schläfrig in einer Atmosphäre, in der alle wie Moribunde wirken, die von einer unsichtbaren apokalyptischen Schnur gezogen werden. Gesprochen wird auch: Judith Hofmann erklärt einer Reisegruppe Fundamentales zum Tessiner Bergmassiv. Und Franziska Machens als abwesende Tochter greift Erzählungsfragmente auf, damit das Textoriginal nicht zu kurz kommt.

 

Archivierung gegen das Vergessen

Matthes redet über Geiser in der dritten Person – Max Frisch hat auch den personalen Erzähler gewählt, der alles durch die Welt von Geiser sieht. Allwissend ist auch nicht der Regisseur, er versucht es mit aufs Gefühl spekulierenden Andeutungen und gleichsam metaphysischen Ahnungen. Der Auftritt des dem Publikum nun zugewandten Matthes ist ein Rettungsanker gegen die Verflachung des überkonstruierten Kunstwollens. Das Grollen im Gesicht, die leisen Töne und vielsagenden Gesten, teilweise mit hochkonzentriertem Minimalaufwand – das kann er. Und er muss sich ebenfalls an den Text halten: Matthes unterteilt den Donner in verschiedene Kategorien und Facetten. Das alles auf dem Weg zur Archivierung im Kampf gegen das Vergessen. Geiser unternimmt einen Fluchtversuch, verlässt das umweltbedrohte Bergdorf, kehrt aber unverrichteter Dinge wieder zurück, desillusioniert und immer mehr unter Demenz leidend. Nun, durch Matthes entsteht etwas wie Handlung – sofern man das, was sich auf der Bühne abspielt, als Handlung bezeichnen kann. Dieses Meditationstheater mit poetischen Ambitionen, das die hohe Kunst anvisiert, ist bedauerlicherweise eine schläfrige Angelegenheit, bestens geeignet für kontemplative Existenzen. Gut indes ist der Schluss. Immer mehr Gaze-Vorhänge fallen herunter, fast kaum noch etwas ist sichtbar. Die Szenerie scheint sich aufzulösen: Hier löst Luz seinen Kunstanspruch ein. Doch es ist zu wenig. Diese Ästhetik ist nicht jedermanns Sache. Es ist mit Buhrufen zu rechnen, die gibt es allerdings nicht. Luz genießt bei der Premiere ein Heimspiel: Der Saal ist vollgepumpt mit verstreut sitzenden DT-Akteur*innen.

Der Mensch erscheint im Holozän
nach Max Frisch
Regie: Thom Luz, Musikalische Leitung: Mathias Weibel, Bühne: Wolfgang Menardi, Thom Luz, Kostüme: Sophie Leypold, Dramaturgie: David Heiligers, Licht: Matthias Vogel.
Mit: Ulrich Matthes, Judith Hofmann, Franziska Machens, Leonhard Dering, Wolfgang Menardi, Daniele Pintaudi. Besucher: Nina Philipp, Sarah Maria Neugebauer, Thomas Reimann, Margitta Azadian, Mohammed Azadian, Martin Heise, Till-Jan Meinen, Valentin Olbrich.

Deutsches Theater, Premiere vom 23. September 2016.
Dauer: 90 Minuten, keine Pause.


 

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