Überzackig absolvierte Schauplätze

Auf den ersten Blick wirkt das Bühnenbild sehr künstlich, und erst recht auf den zweiten. Die Zuschauer sehen auf eine Bühnenwand, die eine Berglandschaft inklusive schlossähnlichem Gebilde zeigt. Davor Steinbrocken, üppig wuchernde Kunstpflanzen, ein Klo, ein Flusspferd, ein Briefkasten aus der Zeit der Altvorderen, und Sitzreihen, die an einen Wartesaal gemahnen, schließlich ist man ständig unterwegs. Die Atmosphäre soll primär exotisch anmuten, da die überzackig absolvierten Schauplätze einem urbanisierten Westler doch sehr fremdartig vorkommen. Der junge Regisseur Sebastian Kreyer entwickelt eine hektische Betriebsamkeit, unterbrochen nur durch einige Gesangseinlagen, die eine Verneigung sind vor schmalzigen Popsongs. Einmal ertönt "Africa" von der französischen Sängerin Rose Laurents, die mit ihrem 1982er-Hit die Wiederauferstehung des Voodoo Masters glorifizierte. Eingedeutscht heißt das: Afrika raubt mir meine Seele um Mitternacht. Und Sebastian Kreyer tut nichts anderes als seinen Schauspielern von vornherein die Theaterseele auszublasen. Er schreckt nicht zurück vor Stilmitteln, die längst im Theater am Kurfürstendamm aus Peinlichkeitsgründen vermieden werden. Kreyer greift so tief in die Niederungen der Boulevard-Kiste, als wolle er diese Genre desavouieren und persiflieren. Aber hier geht es nicht um eine Verarschung des Betriebs – dem Regisseur, das ist das Traurige, scheint es ernst damit zu sein.

 

Griff ins Antiquariat

Im zweiten Teil konzentriert sich das Autorenduo auf die nordenglische Stadt Whitby, wo sich eine hochgestellte Familie in prunkvollem Ambiente trifft. Man fühlt sich erlesen, gibt sich vornehm, ist aber im Grunde nur der Wurmfortsatz einer an geistiger Arteriosklerose erkrankten Gesellschaft. Eine Fremde namens Brigitte (Lisa-Katrina Mayer) ist zu Besuch, mit der es eine geheimnisvolle Bewandtnis hat. Hausherrin Lady Grimshaw (Miriam Maertens) verkörpert eine dermaßen zur Schau getragene hochnäsige Galanterie und Salonfähigkeit, dass sie jederzeit Gefahr läuft, ins Lächerliche abzugleiten. Die Illustration von Popanzen hat es dem Regisseur offensichtlich angetan, deshalb lässt er auch den Sohn Mortimer (Johannes Sima) mit dem Richter Warwick (Benedict Fellmer) in übertriebener Weise herumschwuchteln. Eine verzerrtes Bild des großbürgerlichen Milieus, in das als Zugabe ein Detektiv im karierten Sherlook-Holmes-Look eintritt, natürlich ausgestattet mit einer Art Deerstalker-Mütze. Der Spürhund, eigentlich die Inkarnation eines als obsolet abgelegten Theaterantiquariats, merkt dann auch mit seinem rasant arbeitenden kognitiven System, dass da etwas nicht stimmt. Und richtig, nach und nach werden alle Beteiligten von der schweigsamen Brigitte hingerichtet. Bei jeder betroffenen Person erklingt zuvor ein kurzes, schräges musikalisches Dissonanzengedröhn, damit selbst der Hinterletzte kapiert, dass die Stunde geschlagen hat. Einmal erklimmen Nolte Decar sogar Jelinek'sches Sprachniveau, wenn sie sagen: Er tritt in seine (des Vaters) Fußstapfen, aber der hatte Größe 48. Größe bleibt diese Inszenierung leider in jeder Hinsicht versagt. Ist diese Brigitte eine Drahtzieherin des internationalen Terrorismus? Wir wissen es nicht, wollen es nach diesem Bums-Fallera-Abend gar nicht wissen. Wenn diese Komödie eine Demonstration des schwarzen Humors sein soll, dann hat sie für die Verwendung von Klischees zwar viel, aber für die von Zynismen gesättigte Bloßlegung von Missständen so gut wie gar nichts geleistet. Letztlich hat die DT-Jury diesen Humbug zu verantworten.

Der neue Himmel
von Nolte Decar
Regie: Sebastian Kreyer, Bühne und Kostüme: Matthias Nebel, Musik: Andreas Seeligmann Choreographie: Sebastian Henn, Licht: Michael Güntert, Dramaturgie: Karolin Trachte.
Mit: Johannes Sima, Miriam Maertens, Ludwig Boettger, Benedict Fellmer, Lisa-Katrina Mayer, Julia Kreusch.

Deutsches Theater Berlin

Uraufführung vom 26. Juni 2015
Dauer: 90 Minuten, keine Pause

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