Buchcover

© Jazzybee Verlag

 

Die Konservierung des Errungenen als Lebensziel

Kimmig hat diesmal auf Arien als Hintergrundmusik verzichtet. Die Musik ist unaufdringlich und liegt unterhalb der Schmerzgrenze, gegen Ende erklingen softe, spannungsarme Jazzrhythmen. Gespielt wird vor und in einer sanierten Holzbaracke, einem bungalowartigen Wohnkasten mit kargem Not-Mobiliar. Ins Blickfeld rückt ein mal gemachtes, mal zerwühltes Bett, das nicht gerade zum Reinlegen einlädt. Eine Außendusche darf nicht fehlen, sie dient dazu, die überhitzten Gemüter abzukühlen. Und alle haben sie ihren Kampf auszutragen, gegen innere und äußere Vereinsamung: Das kleinfamiliäre Patchwork-Projekt gleicht einem seelischen Krankenlager. Der Provinzarzt Dr. Wangel liebt Ellida ‚irgendwie', zumal es an diesem verlassenen Fjord kein probates Ersatzobjekt gibt, das sich als ernsthafte Konkurrenz erweisen könnte. Steven Scharf – Ellida redet seine Figur nur mit Wangel an! – spielt wie jemand, der mit dem Leben abgeschlossen und nicht mehr viel zu erwarten hat und das Errungene mühsam konservieren möchte, um den Totalabsturz zu verhindern. Jegliche Lebensgier ist erloschen, es dominieren Zögerlichkeit und Velleität - kurz, das kraftlose Wünschen.

 

Ein äußerst bescheidenes Lebenslos

Susanne Wolff hat mit Ellida keine dankbare Rolle übernommen. Ihre Figur ist innerlich zerrissen, wird heimgesucht von überbordenden Aufwallungen einer liegengelassenen, ins Uferlose idealisierten Liebe, die zur Profanität der abgekühlten provinziellen Abgeschiedenheit kontrastiert. Nun, bei der Darstellung des angekränkelten Seelentaumels kann Wolff ihre facettenreiche Begabung ausspielen, allerdings nur mit gebremstem Schaum. Ellidas Inneres ist wie ein Kerker, in dem es nach Erlösung schreit. Aber ihr Leben ist eine Sackgasse, eine Einbahnstraße, ein dürrer Pfad mit aufragenden Wänden, von denen sie sich lediglich durch kurze Exaltationen lösen kann. Sie bückt sich nieder und schreit wie ein Wasservogel, der sich zurück ans Meer sehnt. Ihre Blicke schwingen sich auf zu einem zarten Schmelz, zu einer verschleierten Glut – ephemerer Ausdruck seelischen Hochgefühls -, die leider nicht lange glimmt und einer resignativen Haltung Platz macht. Immerhin, sie lehnt sich auf gegen ihr Schicksal, wird dadurch keineswegs pflegeleicht. Die beiden Töchter aus erster Ehe, Bolette und Hilde, hadern ebenfalls mit ihrem bescheidenen Lebenslos, das in der Unabwendbarkeit unerfüllter Träume kulminiert. Während Lisa Hrdina sich als keifernde, ungezogene Göre geriert, wirkt die Figur von Zürich-Import Franziska Machens gesetzter und zukunftsorientierter. In einer Survival-Aktion beschließt sie eine Heirat mit ihrem Ex-Lehrer Arnholm (Michael Goldberg), und zwar aus versorgungstechnischen Gründen und als eine Chance des Entrinnens. Übrigens ist Franziska Machens das Paradebeispiel für eine optisch passable Erscheinung, die unter den Händen einer Kostümbildnerin (Anja Rabes) zu einem biederen Fischweib mutiert.

 

Plakat der Aufführung

 

Stillstand ohne Amor Fati

In diesem Drama überwiegt nicht die Liebe, sondern die eheliche Versorgung auf Lebenszeit – mehr hat der ermattete Dr. Wangel nicht zu bieten. Egal, wie Kimmig das Stück dreht oder wendet, er kann ihm keine interessante Stoßkraft verleihen. Die letzte Viertelstunde, die Aussprache zwischen Ellida und Wangel ist konzentriert und leise, fast ganz ohne jähes Aufbrausen. Wangel gibt seine Frau frei, legt das Schicksal in ihre Hände, doch von Aufbruch keine Spur. In dieser Schlussszene erweist sich Kimmig als ein Meister der Hoffungslosigkeit und des Stillstands, wobei kein Amor Fati hindurchklingt. Vielleicht hat er sich dieses dialogschwache Ibsen-Drama herausgegriffen, um vorläufig eine Pilgerprozession zum Schlaf-Bachelor zu unternehmen. Hier zündet nichts, hier wird kein Bühnen-Feuerwerk abgebrannt, hier hilft auch keine gut aufgelegte Susanne Wolff. Bei Stephan Kimmig ist man es ja mittlerweile gewohnt, dass er nach einem gelungenen Werk eine künstlerische Pause einlegt, weil seine Inspirationsschübe, die ihn intervallartig ergreifen, ins Stocken geraten sind. Man kann also "Die Frau vom Meer" getrost als ein Nebenwerk betrachten, entstanden in einem Stadium schöpferischen Leerlaufs. Wenn Kimmig wieder genug Kräfte gesammelt hat, kommt das nächste Mal vielleicht ein Meisterwerk zustande.

Die Frau vom Meer
von Henrik Ibsen
Übersetzung von Heiner Gimmler
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes, Musik: Michael Verhovec, Dramaturgie: Sonja Anders, Licht: Matthias Vogel.

Mit: Susanne Wolff, Franziska Machens, Steven Scharf, Michael Goldberg, Benjamin Lillie, Timo Weisschnur, Lisa Hrdina.

Deutsches Theater Berlin

Premiere: 26. November 2014
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

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