Kein Platz für genussfreudige Begehrlichkeiten

Die Jungfrau von Orleans ist eine Augurin, eine Prophetin von Gottes Gnaden. Sie ist keine Sendbotin des unanfechtbaren Oberpfarrers in Rom, sondern erhält ihre Eingebungen und Weisungen direkt aus dem Himmel. Nun, die Inszenierung ist keine stillschweigende Glorifizierung des kriegslüsternen Katholizismus. Die ehemalige Bäuerin hat ein Werk zu verrichten – die Befreiung Frankreichs aus den Klauen Englands -, da ist kein Platz für genussfreudige Begehrlichkeiten der intensiveren Art. Als sich die ersten Triumphe auf den Schlachtfeldern einstellen, werden männliche Avancen rigoros abgewiesen: Sie ist kein Weib, sondern eine Kriegerin, die ihrem heiligen Auftrag folgt und nicht auf Fertilitätsraten achtet. Da Kathleen Morgeneyer fast nur steht und kaum spielt, muss man sich auf ihr Gesichtsspiel einlassen. Beinahe fühlt man sich an Goschs Möwe erinnert, wie sie barfuß auf einem Stein steht und, von Erregung ganz aufgelöst, herumjammert. Das Jammern fällt diesmal weg, der Ton ist teilweise aggressiv und kämpferisch, die Worte prasseln mitunter wie scharfe Blitze heraus und prallen mit Wucht ins Auditorium. Und doch, hinter der harten, kompromisslosen Fassade, hinter der visionären Verwegenheit schimmert manchmal ein wenig Verletzlichkeit hindurch, als könne die Jungfrau eine Umarmung ganz gut gebrauchen, um den Seelenhaushalt stabil zu halten.

 

Meike Droste

Meike Droste (Bild: © Heinrich-Böll-Stiftung/Wikipedia)

Moltzen goes Kinski

Thalheimer greift in seinen Inszenierungen gern auf Peter Moltzen zurück. Es scheint, als habe er ein paar neue Töne angeschlagen, ohne freilich ein neues Theaterimage von sich aufzubauen. Moltzen goes Kinski. Wenn man ihn reden hört, kann man sich gut vorstellen, dass er sich in letzter Zeit einige Hörspiel-CDs mit Klaus Kinski zu Gemüte geführt hat. Leider ist Moltzen aufgrund der für heutige Verhältnisse bizarren Rüstung mitunter bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Die optisch verbesserte Meike Droste trägt als die Geliebte Karls einen geflochtenen Haarkranz, der heute noch auf Trachtenfesten in Bayern zu sehen ist. Daneben agiert der König, ausgestattet mit stimmlichem Hochdruck und einer Fistelstimme. Protzige Ringe an der fleischigen Hand, gleitet Franken, wie schon oft, ab in eine komisch überzeichnete Darstellung, ist aber dennoch eine der interessantesten Gestalten der Inszenierung.

 

Übertriebener Minimalismus

Wie unter anderem bei Dimiter Goscheffs Volpone, zeigt Almut Zilcher auch diesmal einen starken Auftritt, nun als die rachsüchtige Königsmama, die ins Feindeslager überläuft und die Jungfrau gefangen nimmt. Ausstaffiert mit einer blondierten Elfriede-Jelinek-Frisur wirkt sie weitaus bedrohlicher als die erleuchtete Kriegerin. Insgesamt lässt Michael Thalheimer ziemlich viel vom Blatt herunterreden, als habe er Peymanns Nachfolge im Berliner Ensemble im Visier und trainiere schon mal ein bisschen. Es gibt allerdings zwei wesentliche Unterschiede zu Peymann: Thalheimer streicht viel mehr Text und favorisiert einen übertriebenen Minimalismus, im Vergleich dazu hat der BE-Intendant geradezu einen Hang zur Opulenz. In Die Jungfrau von Orleans wird zu viel gesprochen und zu wenig gespielt, das Spiel wird durch heftiges Brüllen und Kampfdeklamieren ersetzt, das ist zu wenig: Der Regisseur erhält seine Quittung, sogar in der ersten Aufführung nach der Berlin-Premiere. Als er beim Schlussapplaus auf die Bühne kam, schlug ihm ein Buh-Donnerwetter entgegen. Sogleich konterten einige Thalheimer-Anhänger mit Bravo-Rufen. In der Politik würde man das auch positiv werten: Dieser Mann kann polarisieren.

Die Jungfrau von Orleans 

Drama von Friedrich Schiller 

Fassung von Sonja Anders und Michael Thalheimer 

Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Dramaturgie: Sonja Anders, Kostüme: Nehle Balkhausen, Musik: Bert Wrede, Licht: Robert Grauel. 

Mit: Christoph Franken, Almut Zilcher,, Kathleen Morgeneyer, Peter Moltzen, Meike Droste, Alexander Khuon, Andreas Döhler, Henning Vogt, Jürgen Huth, Markus Graf, Michael Gerber.

Deutsches Theater Berlin

Berlin-Premiere am 27. September, Kritik vom 28. September.

Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause.

 

 

 

 

 

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