Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Die Zofen" - Panteleev inszeniert Genet
Premiere. Ein lockeres Unterhaltungstheater mit flockigem, angedeutetem Tiefsinn. Die Gesinde-Schwestern Claire und Solange proben den Aufstand gegen ihre Herrin.Wolfgang Koch, Bernd Stempel, Samuel Finzi (Bild: Arno Declair)
Männer als Frauen
Wie wir erfahren, haben die Schwestern Claire (Samuel Finzi) und Solange (Wolfgang Koch) den Hausherrn durch Fehlinformationen und Intrigen in den Knast gebracht. Die pure Lust am Bösen ohne Motiv und Grund – einige Interpreten betrachten das als Urphänomen des Existentialismus, hauptsächlich, wenn man sich an Camus' "Der Fremde" orientiert. Tatsache aber ist, dass es derartige Geschichten in der französischen Literatur schon viel früher gegeben hat. Man nehme nur André Gides "Die Verliese des Vatikans" (1914), wo Lafcadio einen Zugmord ohne Motiv und aus purer Lust begeht. Doch der Regisseur Ivan Panteleev hat keine höheren Absichten, er entscheidet sich für die unterhaltende Oberfläche und gegen Tiefbohrungen und innovative Deutungen. Immerhin kennt er seinen Jean Genet, wahrscheinlich auch "Tagebuch eines Diebes". Deshalb weiß der Regisseur wohl, dass die Freude am motivlosen Verbrechen in Genet tief verankert ist. Das hat nichts mit irgendeiner Bewegung zu tun, und er weiß es. Panteleev konzentriert sich mehr auf den nackten Inhalt. Gestatten, hier sind Claire und Solange, zwei Männer, auftretend in glanzlosen Frauenkleidern, die, nachdem sie den Hausherrn vorläufig erledigt haben, auch die Gattin wegräumen wollen. Verkleidet treten sie auf wie unsensible, herbe Bauernweiber, die kaum erotischen Reiz verbreiten. Sie erfüllen vielleicht erotische Phantasien von intellektuellen Männern, die sich einmal der reinen Sinnlichkeit hingeben wollen und davon träumen, primitiv zusammengeritten zu werden. Die von Männern gespielten Schwestern beginnen ein feuriges Spiel: Finzis Claire ist der Boss und Solange die Zofin. Dabei werden etliche Clownerien eingebaut.
Viel Inhalt, wenig geistiger Hintergrund
Nach einer Weile tritt Bernd Stempel als Hausherrin auf. Welch ein kostbarer Anblick! Er ist weiblich geschminkt, trägt eine schicke Nerd-Brille und ein weißes Jungfernkleid. Später hängt er sich einen beigen Trenchcoat mit Pelzbesatz über. Die Schwestern haben nur noch eins im Sinn: Die Verabreichung eines vergifteten Lindenblütentees. Doch die eigensinnige, feudalistisch geprägte Chefin will nicht davon kosten. Gerade rechtzeitig erreicht sie ein Anruf, dass ihr Gatte aus dem Knast entlassen wird – sie geht ab, um abzuholen. Nun bleibt den beiden Aktricen nicht anderes mehr, als weiterhin Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterwerfung mit humoristischer Selbstvergiftung zu spielen. Einen Vorwurf muss man Panteleev machen: Er ist zu verspielt. Hierarchie-Austausch, Gewalt und Unterdrückung, Rebellion gegen oben und kühne Interpretationen scheinen ihn nicht sonderlich zu interessieren. Im Grunde liefert er nur bare Unterhaltung. Die aber auf hohem Niveau.
Die Zofen
von Jean Genet
Regie: Ivan Panteleev, Bühne / Kostüme: Johannes Schütz, Sound-Design: Martin Person, Licht: Robert Grauel, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Wolfram Koch, Bernd Stempel, Samuel Finzi.
Deutsches Theater, Premiere vom 2. Dezember 2017.
Dauer: 100 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)