Wir fliegen – auf die Fresse!

Ein Unfall: "Das Blech beginnt zu singen." Als freue sich das Auto, einen zuvor quicklebendigen Menschen verschlungen und zu Dosenfleisch verarbeitet zu haben. Und auch die Straße hat davon genug, ständig eine Transportunterlage zu sein, ausgehöhlt und abgerieben. Ausgebeutet von der Logistik, zieht die Straße die Schlinge immer enger zu und wird zur Sackgasse, aus der man nicht mehr entrinnen kann. Das finale Desaster in der Todeskurve, der Triumph des Hergestellten über den Hersteller. Und Daniel Jesch als Fernfahrer ist ein Autofetischist, der beflügelt ist vom Zauber der entfesselten Geschwindigkeit: Wir träumen, wir heben ab, wir fliegen! Leider fliegt er ganz übel auf die Fresse – was ein Wortspiel ist, für das der gut im Futter stehende Autor Ferdinand Schmalz übrigens ein ausgesprochenes Faible hat. Sein Text liest sich dann auch als langes Prosa-Gedicht, bei dem die Syntax dermaßen verändert ist, dass sich die Absicht des Autors, poetische Gefilde zu erklimmen, deutlich abzeichnet. Es ist eine pathosgetränkte Blech-Lyrik, die, zart und rustikal zugleich, den menschengeschaffenen Himmel mit der ebenfalls menschengeschaffenen Bau- und Maschinenwelt kollidieren lässt. Und nicht nur die Straße triumphiert, sondern auch der Mensch: Eine Serie von mysteriösen Unfällen unterbricht die Langeweile einer Autobahnraststätte, deren Personal aus Abwechslungsgründen einen neuerlichen Zusammenstoß als eine Art Privatvergnügen betrachtet.

 

 

Eingang Deutsches Theater

© Steffen Kassel

 

Zu schmale Spuren

Wo viele Schäden auftreten, ist ein Versicherungsmann nicht weit. Tino Hillebrand spielt einen solchen Vertreter, der sich als ein silent surveyor versteht, aber hinterher großspurig daherredet über zu schmale Spuren. Ein braver, systemtreuer Geselle, staubtrocken und beamtenhaft und wahrscheinlich zu Denunziationen neigend, der sich in seiner biederen Sachlichkeit vom Rest abhebt. Beate (Dorothee Hartinger), die leicht prollige Betreiberin der Raststätte, ist eher pragmatisch orientiert und scheint für höhere Gefühle nicht in Frage zu kommen, aber immerhin ist sie, gefangen in einem minimalen Wirklichkeitsausschnitt, für alles zu haben, was aus der Bahn geschleudert wird. Die Bühne ist ein einziger Blech- und Metallpark, versehen mit einem kraftvoll beleuchteten "Open"-Schild, das direkt hinzuführen scheint zu einer Spielhalle oder einem Bordell für unter Überdruck leidende, lendenstarke Fernfahrer. In dieses Milieu passt nicht unbedingt Jayne (Frida-Lovisa Hamann), die sich leicht erhaben wähnt in ihrem bizarren Erscheinungsbild. Sie trägt ihr blondes Haar als Sidecut und läuft auf extrem hochhackigen Modeschuhen herum, die bestenfalls für exklusive Catwalk-Inszenierungen taugen und den Fuß fast vertikal nach oben stehen lassen. Jayne, ein hochgepuschtes Kunstprodukt, ausstrahlungsstark und schnelligkeitssüchtig, die auch die Niederungen des Lebens in eine positive Phantasiewelt umzuwandeln vermag. Was sind schon Blechschäden, spritzendes Blut und berstende Eingeweide? Die Verarbeitung des Menschen zu Dosenfleisch? The show must go on. Selbstverständlich ist diese Inszenierung keine Öko-Reklameveranstaltung: Schmalz betreibt keine Werbung für Radfahrer und Spaziergänger. Ihm geht es weit eher um die Situation des Autofahrers, der sich im Zustand der Freiheit wähnt – als König der Straße -, aber letztlich ein Gefangener eines Blechkastens ist. Die menschliche Macht erweist sich zuweilen als Ohnmacht. Dafür hat er eine Kunstsprache entwickelt, die im Grunde eine Verneigung vor der Literatur ist. Die Literatur, wir wissen es, wird im Theater nicht untergehen.

Dosenfleisch
von Ferdinand Schmalz
Regie: Carina Riedl, Bühne: Fatima Sonntag, Kostüme: Dagmar Bald, Musik: Arthur Fussy, Licht: Norbert Gottwald, Dramaturgie: Amely Joana Haag.

Es spielen: Frida-Lovisa Hamann, Katharina Ernst, Daniel Jesch, Tino Hillebrand, Dorothee Hartinger.

Deutsches Theater Berlin

Uraufführung vom 13. Juni 2015

Dauer: 75 Minuten.

 

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