Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Fabian" - Erich Kästner / Riemenschneider
Premiere in der Box. Deutschland am Ende der Weimarer Repulik. Die Unmoral grassiert, extremistische Parteien sind im Aufschwung. Bohemiens und Akademiker betäuben sich durch Amüsements.
Wie im Comic
© Arno Declair
Mitglied des Genussbetriebs
Jakob Fabian ist Doktor der Philologie und arbeitet als Werbetexter in einer Agentur, Propagandist nannte man das damals, aber nach der Zeit von Propagandaminister Joseph Goebbels ist das Wort in Deutschland verfemt. Fabian arbeitet weit unter seinen geistigen Möglichkeiten und wundert sich auch über die Nachrichten-Unkultur, obwohl er selbst darin mitwirkt, weil er keine akademische Stelle erhielt. Er sieht die politischen Unruhen um sich herum, den Taumel der Großstadt, in deren Ekstasen er versinkt, um sich innerlich zu berauschen. Nein, verbessern kann er die Gesellschaft nicht, bestenfalls sich selbst. Er ist ein geschulter Ironiker, aber der zarten Art, viel prallt von ihm ab. Erich Kästner möchte seinen Lesern weismachen, dass die Genusssucht Ende der 20er- Jahre ein Phänomen der um sich greifenden Unmoral sei. Tatsache aber ist, dass zwischen 1924 und 1928 ein wirtschaftlicher Aufschwung geschah, in dem die chemische, optische und elektrotechnische Industrie den Weltmarkt eroberte – und viele wollten ein Mitglied des Genussbetriebs sein und gingen in Nachtlokale. Doch dieser Sachverhalt ist ein Problem Erich Kästners, dem Alexander Riemenschneider gnadenlos und werktreu folgt. Thorsten Hierse referiert das mit umwölkten, geschminkten Augen, die mitunter groß und glotzig sind, aber sich zuweilen zu einem Sehschlitz verengen.
Seelische Zerbrechlichkeit
Eine wirklich starke Szene ist die Ankündigung von Labudes Freitod. Enttäuscht von seiner Geliebten und anderen amourösen Abenteuern, ist er sehr zerbrechlich geworden. Als seine Habilitationsschrift anscheinend abgelehnt wird – es war ein Scherz des Assistenten des Doktorvaters -, redet sich Labude in einen Schmerz hinein, als sei nun alles zu Ende. Eine grandiose Leistung von Božidar Kocevski! Er fühlt sich verraten, dabei ist seine akademische Arbeit vom Geheimrat angenommen worden. Dieses Verzweifeln, das innere Zerfließen einer Seele erzeugt ein Höchstmaß an Empathie. Im Gegensatz zur Beziehung von Fabian mit Cornelia, die ihn verlässt und aus Überlebens- und Karrieregründen eine Partnerschaft mit einem Filmdirektor eingeht. Hier fühlt man sich als Zuschauer weit von der Bühne entfernt. Ein weiterer Schicksalsschlag, nichts weiter. Es geht alles den Bach runter. Fabian versucht als Nichtschwimmer ein Kind zu retten und erliegt dabei seinem persönlichen Schicksal. Als 16-Jähriger hing ein großes Konterfei von Schopenhauer über meinem Bett. Das Bühnenbild von Johanna Pfau hätte bei mir Depressionen ausgelöst. Warum diese halb gare Inszenierung? Die Schauspieler*innen können doch wesentlich mehr.
Fabian
Die Geschichte eines Moralisten
nach dem Roman von Erich Kästner
Fassung von Alexander Riemenschneider und Meike Schmitz
Regie: Alexander Riemenschneider, Bühne & Kostüme: Johanna Pfau, Musik: Tobias Vethake, Dramaturgie: Meike Schmitz
Es spielen: Birgit Unterweger, Thorsten Hierse, Božidar Kocevski
Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 23. Februar 2019
Dauer: 90 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)