Foto: Arno Declair

 

 

Die Vernichtung des männlichen Geschlechts

Wie sich die Regisseure Kuttner und Kühnel im Deutschlandfunk vernehmen ließen, soll die Aufführung so gut wie gar nichts mit Warhol zu tun haben – es geht ausschließlich um den Text Solanas. Aha. Bekanntlich zählt seine 67er-Bilderserie über Marylin Monroe zu seinen meist beachteten Werken und ausgerechnet als diese Filmlegende, Femme Fatale, Opfer der Psychoanalyse und extrem tablettenhungrig, treten die Schauspieler Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau und Jörg Pose auf. Schnell wird die Straßenkleidung abgelegt und in ein knallweißes Faltenkostüm verwandelt nebst wasserstoffblonden Perücken und zart-silbrigen, flachen Pumps. Ein vom Boden aufsteigender Wind, der den Rock nach oben treibt und die Beine entblößt ("Das verflixte siebte Jahr" von 1955), wird dem Publikum erspart. In dieser gleichmacherischen Verkleidung kann man die Gesichter kaum voneinander unterscheiden, man erkennt die Schauspieler aus langjähriger Erfahrung an der Stimme. Auf der kunstwirksamen, optisch hervorragenden Bühne (Jo Stramm) ist eine sich überkreuzende, verschlungene Wendeltreppe zu sehen, wo die Sängerin Christiane Rösinger und Instrumentalist Andreas Spechtl agieren, um zwecks geistiger Untermalung ein paar feministische Texte als Geschmacksverstärker hinzuzumischen. In der Tat: Solanas gnadenlos adjektivsüchtiges und wortüberfrachtetes Pamphlet SCUM-Manifest (übersetzt: Gesellschaft zur Zerstückelung von Männern), stilistisch eher schwach, ist eine einzige Abrechnung mit den Männern. Die Vernichtung des männlichen Geschlechts ist angesagt und damit auch der Regierung, die ohnehin von dumpfer, zurückgebliebener Maskulinität dominiert wird, welchselbige, mit verkümmertem Chromosom ausgestattet, nur eine prähistorische, gleichsam atavistische Vorstufe der Frau ist. Der Frontalangriff, die Kampfschrift liest sich teilweise als einigermaßen brillante und amüsante Satire, ist aber nach Aussagen der Autorin bitterernst gemeint. Der Agitationstext ist als überzogener Stachel im Arsch der Männer noch zu vertreten, nur argumentiert der westliche Feminismus heute wesentlich differenzierter. Wir sind weiter.

 

Mehr Show als Inhalt

Was macht das Regie-Duo daraus? Auf der einen Seite nehmen sie das mit Exklusivitätsanspruch herausgehauene Wutgerede ernst, auf der anderen Seite wird es verballhornt, ja denunziert. Die Männertruppe, die den Text vorträgt, scheint sich mit viel Selbstironie bloßzustellen und sich herunterzuwerten, aber in Wahrheit tut sie alles daran, das Ganze der Lustigkeit preiszugeben. Lacher sind ausdrücklich erwünscht, doch meistens reicht es nur zu einem hineingefressenen Schmunzeln, weil einem das boulevardeske Treiben teilweise die Gestik verschnürt. Auf der Leinwand rollen die Bildwelten ab. Die Zuschauer*innen machen eine Zeitreise in das Jahr 2005, sie sehen den Magnaten freundlichen und heutigen Gas- und Öl-Lobbyisten Gerhard Schröder, dazu Joschka Fischer und Angelika Merkel, wie sie in einer Herrschaftsrunde voneinander angetan und genervt sind. Der sich diesmal stark zurückhaltende Jürgen Kuttner taucht in einem glitzernden Fantasy-Morgenmantel auf und synchronisiert das Eingespielte auf Feminismus. Dann kommen Einblendungen vom Film "Die Hexen von Eastwick" (Regie George Miller, 1987). Der Berichterstatter, der den Film nach seiner Veröffentlichung vor 30 Jahren gesehen hat, konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, aber ist Kollegen, die über ein besseres Gedächtnis verfügen, dankbar für die Information. Alles in allem, der Abend ist eine nette Zerstreuung. Aber, um Himmels willen Herr Kuttner, wo bleiben diesmal die Denkanstöße? Ein gut argumentierender Feminismus ist zu begrüßen und jederzeit diskutierbar. Leider ist diese Aufführung hauptsächlich Show.

 

Feminista, Baby!
nach dem SCUM Manifesto von Valerie Solanas
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner, Dramaturgie: Claus Caesar, Live-Musik: Christiane Rösinger, Andreas Spechtl, Bühne: Jo Schramm, Kostüme: Daniela Selig, Licht: Kristina Jedelsky, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Jörg Pose, Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau, Jürgen Kuttner.

Deutsches Theater Berlin, Kammerspiele, Premiere vom 20. Oktober 2017.
Dauer: 90 Minuten, keine Pause

 

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