Dagmar Manzel

Dagmar Manzel (Bild: @ Arno Declair)

Verkrampfter Optimismus

Im Original ist Winnie bis zur Hüfte in einem Sandhaufen vergraben und kann sich nicht mehr rühren. Aus unerfindlichen Gründen hält Schwochow von diesem Ambiente Abstand und ersetzt es durch einen plumpen, pragmatischen Realismus im TV-Format. Dadurch hat er durch einen einzigen brachialen Holzhammer-Streich die gesamte Beckett-Atmosphäre vernichtet, eben jene düsteren, dunkel-geheimnisvollen Stimmungbilder, von der umfangen seine Werke mit nihilistischer Wucht erglühen. Es gibt auch eine Ästhetik des Untergangs – Schwochow scheint sie nicht zu kennen –, geschrieben von Schriftstellern, die selbst Ruinen in den schönsten Farben aufleuchten lassen, die das Werk zu einem Rezeptionsgenuss machen. Bei Beckett leuchtet nichts, doch das Lesen und Sehen seiner pessimistischen, moribunden Figuren hat einen eigentümlichen Reiz, zu dem selbst stark reduzierte, bizarre Behausungen und Unterkünfte gehören. "Glückliche Tage" unterscheidet sich insofern von seinen Werken als der Pessimismus in einen verkrampften Optimismus verwandelt wird.Winnie sieht über den Abgrund ihrer Existenz hinweg und scheint sich ein verspätetes Lebensmotto vorgenommen zu haben: ‚Alles ist gut'. Dabei ist das schon längst der Schwanengesang. Der zirpt und krächzt, erklimmt ungeahnte Höhen und endet zuweilen im Tiefflug.

 

Übersteigerter Nihilismus

Was das Interesse von Schulklassen anbelangt, ist Intendant Khuon I. inzwischen mit Claus Peymann gleichgezogen. Eine Gruppe von Schüler*innen ward gesichtet (Kritik vom 3. Mai), und das verwundert nicht, schließlich sind Regisseur Schwochow und Dagmar Manzel keine kleinen Nummern in der Filmbranche. Dort sollte Schwochow in Ansehung seiner Begabung auch bleiben. Winnie ist von Beckett als ‚vollbusig' charakterisiert worden, deshalb vielleicht der Rückgriff auf eine ihm sehr bekannte Darstellerin, deren ansehnliches Vorgebirge unter der Oma-Strickjacke sich abzeichnet, obwohl es nicht wie eine uneinnehmbare Festung wirkt. Manzel, wie eine "angehängte" Dialyse-Patientin amutend, besitzt eine Tasche mit gewöhnlichen Kosmetikrequisiten und einer Pistole, deren Bewandtnis wohl nur für die Literaturforschung interessant ist. Die Protagonstin, von der man erzählt, sie sei eine Meisterin wohlabgewogener Gesten, zupft auch mal kokett an sich herum, kontrolliert mit dem Spiegel ihr Gesicht, um dann wieder, weil irgendetwas in ihrem Inneren vorgefallen ist, brüsk den Tonfall zu wechseln. Aber Beckett ist nicht unbedingt der geeignete Schauplatz gehobener Gesichtsakrobatik, zumal er auf eiserne Reduktion setzt. Im Übrigen sitzt Jörg Pose als Willie auch noch mit im Boot, wenngleich nur an der Peripherie, in einer fauligen Randzone des Lebens. Er sitzt da, liest Zeitung und brabbelt daher in einer kindlichen Morphem-Sprache. Am Ende krabbelt Willie, angetrieben von einem sexuellen Restfunken, auf allen Vieren in Richtung Winnie und verharrt vor ihr wie ein zuglaufener Straßenköter. Sie neigt sich leicht vor wie zu einem Kuss. Und das vor einer schaurigen Spiegelwand-Kulisse, die Beckett gänzlich "entmythisiert' und ins unerträglich Profane hinabzerrt. Zu Beginn macht Schwochow seine Inszenierung noch nihilistischer als das Original, als habe er zuvor eine Ladung Valium 10 ans Publikum verteilt, in der Hoffnung, die Manzel werde es schon wieder zurückholen und es mit ihrem scheinbaren Triumph gegen die Agonie "reißen". Kurz, die schwächste Aufführung des Deutschen Theaters in dieser Spielzeit.

Glückliche Tage
von Samuel Beckett
Deutsch von Erika und Elmar Tophoven
Regie: Christian Schwochow, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Aslı Bakkallar, Licht: Cornelia Gloth, Dramaturgie: John von Düffel.
Mit: Dagmar Manzel, Jörg Pose.

Deutsches Theater, Premiere war am 22. April 2017, Kritik vom 3. Mai 2017.
Dauer: 90 Minuten, keine Pause

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