Joseph Roth 1926

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Die existentielle Krise verschärft sich

Eigentlich hätte Singer dem Schicksal auch dankbar sein können. Schon im beginnenden 20. Jahrhundert, in einem abgelegenen russischen Kaff hat Singer Probleme mit seiner sich zurückgesetzt fühlenden, aufstiegswilligen Gattin Deborah (Almut Zilcher). Die Entfremdung wächst an, je länger sie zusammen sind, und erreicht ihren Gipfel im amerikanischen Exil. Als Deborah erfährt, dass ihr den amerikanischen Truppen beigetretener Sohn Schemarjah (in den USA: Sam) im 1. Weltkrieg "fällt", fällt sie um und stirbt. Ihre Ehe hatte längst das Staubtrockene erreicht, in Augenblicken seelischen Hochgefühls war Deborah bestenfalls eine gute Kameradin. Im Grunde ein Segen des Schicksals, aber Singer hat sich an sie gewöhnt wie an einen Baum, der seit dreißig Jahren vor dem Fenster steht. Die Krise erreicht ihren fragwürdigen Kulminationspunkt, als die dem herben Fleisch geöffnete, leichtlebige Tochter Mirjam (Lisa Hrdina) psychisch durchdreht, anscheinend unheilbar. Insgesamt macht die Regisseurin Anne Lenk, die ihrer hervorragenden Münchener Phospheros-Inszenierung leider etwas hinterhinkt, aus Deborah eine durchaus sympathische Frau. Almut Zilcher hat ihre erhabene Kratzbürstigkeit und die Xanthippe-Elemente auf ein Minimum reduziert. Sie spielt eher eine Kitterin und Wächterin des Familienzusammenhalts und zuweilen erheben sich ihre Backen unter den Augen zu konvexen, kugelartigen Harmoniegebilden, die in schlechteren Augenblicken ans Treudoofe grenzen.

 

Erlösung durch den geheilten Epileptiker

Die Inszenierung, die voll aufs gesprochene Narrativ setzt, ist schlicht, reduziert, ja beinahe spartanisch. Das gilt vor allem für das Bühnenbild (Halina Kratochwil), das – wo ist die Musik?- bescheidener und unspektakulärer nicht sein könnte. Es ist eine leise Inszenierung, die trotz des schicksalsmächtigen, harten Inhalts auf samtenen Pfoten daherkommt und auf die Ohren setzt. Der Roman wird etappenweise nacherzählt, als könnten die Worte Roths durch Betonung und gestischen Beiklang noch intensiver schillern. Im russischen Teil des Romans ist eine Rückwand zu sehen, die im amerikanischen Teil jäh verschwindet. Der mit der Familie befreundete Mac (Edgar Eckert) taucht auf, vollgepumpt mit fetthaltigen Kalorien, gekleidet in ein ausgestopftes Baseball-Trikot. Das ist die einzige Karikatur, die sich Anne Lenk offensichtlich nicht verkneifen kann – der Typus des tumben, lebensgierigen Kapitalismusverfechters. Ansonsten wird der Ball so flach gehalten, dass man ihn kaum sieht. Im ersten Teil spielt Alexander Khuon, der auch eine nicht gerade inszenierungsfördernde Erzählerfunktion übernimmt, den geistig weit zurückgebliebenen, epileptischen vierten Sohn Menuchim. Khuon spielt eigentlich nicht, sondern sitzt nur am Rand herum mit Augen, in denen ein keineswegs schwachsinniger, sondern beseelter Funke zu glimmen scheint, als würde er sein verheißungsvolles Schicksal vorwegnehmen. Später ist Menuchim von seiner scheinbar unheilbaren Krankheit geheilt und ein erfolgreicher Dirigent, der sich seinem zerschmetterten Papa zu erkennen gibt. Sein zurückgebliebener, verschollener Sohn, mit dem er hatte reden wollen, reden über die Ewigkeit, über nichtige und große Dinge! Nun ist er da, auferstanden von den Toten und erfolgreich, und Mendel Singer fährt beseligt in den Himmel. Leider wird Anne Lenk mit dieser Inszenierung wohl kaum in den Theaterhimmel fahren. Dazu fehlen dieser – absichtlich als Gerippe präsentierten – Inszenierung Farbe und Feuer. Man nehme das Kleine als das Große. Nur funktioniert es nicht so ganz.

Hiob
nach dem Roman von Joseph Roth
Fassung von Anne Lenk und Sonja Anders
Regie: Anne Lenk, Bühne: Halina Kratochwil, Kostüme: Silja Landsberg, Musik: Leo Schmidthals, Video: Clemens Walter, Dramaturgie: Sonja Anders.
Mit: Alexander Khuon, Lisa Hrdina, Almut Zilcher, Camill Jammal, Bernd Moss, Edgar Eckert.

Deutsches Theater Berlin

Premiere vom 31. März 2016
Dauer: ca. 140 Minuten, keine Pause

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