Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Immer noch Sturm" – Frank Abt
Premiere. Nun versucht sich auch Regisseur Abt an Peter Handkes Drama. Ein Deklamationsabend, dem die Weite fehlt.
Peter Handke
© Mkleine/ Wikipedia
Klaustrophobische Kammern
Beinahe zwangsläufig drängt sich bei "Immer noch Sturm" ein Vergleich mit Gotscheffs Hamburger Inszenierung auf, die am 13. Juni 2012 im Deutschen Theater als Gastspiel zu sehen war. Während sich Gotscheff um eine Weite bemühte, die jenseits von Apfelbaum und Jaunfeld angesiedelt ist, scheint bei Frank Abt alles zusammenzuschrumpfen. In der Bühnenmitte steht ein sich kreisender Rundbau, der in verschiedene Zimmer unterteilt ist. Klaustrophobische Kammern in einem Kammerspiel. Jeder Raum ist ein Hort der Ungemütlichkeit, in dem sich zuweilen die gesamte Familie schnapstrinkend zusammendrängt wie wärmesuchende Tiere. Es ist doch eine sehr häusliche, provinzielle Geschichte, egal, auf welchen (Schlacht-)Feldern sich die Geschwister ausagieren. Sie stehen zumeist nur herum und deklamieren, als sei damit alles gesagt. Bei Gotscheff hingegen wurde die Bühne bespielt, es wurde gesungen und getanzt und die historische Tragweite der Kärntner Ereignisse herangeholt, als handele es sich um einen exklusiven Schauplatz. Was bei Gotscheff als Überblick daherkommt, ist beim langhaarigen Kolloquium-Brillenträger Abt nur ein Ausschnitt.
Ahnenrausch
Der Ich-Erzähler ist Markwart Müller-Elmau, der sehr gedämpft spricht und sich als Nachkomme anscheinend immer noch in einem Ahnenrausch befindet. Die Vergangenheit ist übermächtig, lässt ihn nicht mehr los. Leider verfügt Müller-Elmau nicht über solche Kräfte, die ein Publikum durch feinnervige Rhetorik oder bebenden Wortzauber zu elektrisieren vermögen. Er wirkt wie ein betagter Verwaltungsangestellter, der seine Lebenserinnerungen und Anekdoten vor einem unwissenden Publikum ausbreitet, um Anteilnahme und passive Komplizenschaft zu erringen. Simone von Zglinicki als Ursula schafft es nicht ganz, die finstere Miene der Vorlage aufzusetzen, aber immerhin gelingt ihr eine gewisse Traurigkeit, hinter der eine stillschweigende Rebellion lauert. Sie ist genauso Partisan wie ihr Bruder Gregor (Thorsten Hierse), der einmal in einen – scheinbar grundlosen - Wutausbruch gerät und etliche Speichelfetzen durch den Raum schleudert. Die beiden anderen Brüder, Valentin (Ole Lagerpusch) und Benjamin (Marcel Kohler), sind angesichts der Fülle ihrer selbstempfundenen kühnen Lebenskraft für die Kombattanten des Tausendjährigen Reichs tätig.
Dieser Sieg ist eine Niederlage
Eine völlig gespaltene, zerrissene Familie, aber Handke hat die internen Spannungen in der Familie bestenfalls mit halber Intensität bewältigt. Die slowenischen Kärntner werden ab 1942 massiv unterdrückt, das wird auch auf der Bühne gesagt, aber so, dass man nicht unbedingt Notiz davon nimmt. Es scheint sich um ein privates Problem zu handeln, ganz ohne historische Dimension. Nun, historisch wird's am Ende dennoch: Die Partisanen haben nach mühevoller Kleinarbeit in Wald- und Buschregionen gesiegt, aber die Engländer sind schneller und vereinnahmen Kärnten für den Westen, also für Österreich. Aus Verbündeten werden von heute auf morgen Gegner und die slowenischen Pyrrhus-Sieger resignieren. Diese Geschichte wird auf der Bühne nur erzählt, begleitet von tragischen Gesten, doch eine Verlebendigung gelingt dem auf Einschrumpfung kaprizierten Ensemble nicht. Den ganzen Abend über wabert eine Atmosphäre der Vergeblichkeit, unterbrochen von einigen Licht-Sequenzen. Der Ausklang ist ein Abgesang.
Immer noch Sturm
von Peter Handke
Regie: Frank Abt, Bühne: Steffi Wurster, Kostüme: Sophie Leypold, Dramaturgie: Meike Schmit, Licht: Thomas Langguth.
Mit: Judith Hofmann, Thorsten Hierse, Marcel Kohler, Markwart Müller-Elmau, Katharina Matz, Michael Gerber, Simone von Zglinicki, Ole Lagerpusch.
Premiere vom 29. April 2012
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
© Mkleine/ Wikipedia
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)