Deutsches Theater Berlin: Kritik von "In Stanniolpapier"- Sebastian Hartmann
Keine Uraufführung. Der Regisseur Hartmann macht aus dem dokumentarischen Material einer Prostituierten eine Art Peepshow. Sehr zum Unmut des Autoren Björn SC Deigner.
© Arno Declair
Der nackte Körper ist überpräsent
Die drei Schauspieler*innen Linda Pöppel, Frank Büttner und Manuel Harder spielen in einem Beton-Kubus, durch den das Publikum nicht hindurchsehen kann. Alles, was sich in diesem kastenartigen Gefängnis abspielt, wird mit der Kamera eingefangen und auf zwei Leinwände projiziert. Es sieht aus wie Kino, ist aber jederzeit live aufgenommen. Hartmann betrachtet die Angelegenheit monokausal: Er sieht Maria nur als Opfer rabiater Virilität, sie wird permanent psychisch und physisch ausgebeutet, ohne einen Selbstbehauptungswillen zu zeigen, und tut das auf eine Weise, dass man jegliches Mitgefühl oder gar Empathie verliert. Kalte Sex-Szenen, bei denen Büttner und Harder auf ihr herumrutschen, sie von hinten nehmen oder anderweitig quälen. Im Text ist das ein Hausfreund der Eltern und zahlreiche Freier, die Frauen als rechtloses Freiwild einstufen. Hartmann hat Maria noch einmal vergewaltigt, und den Text ohnehin. Nun, vielleicht hatte er nur hehre Absichten, indem er auf die verzweifelte Situation von milieugeschädigten Prostituierten aufmerksam machen wollte. Doch die Wahl der Mittel ist die falsche. Linda Pöppel wird unausgesetzt ausgestellt, ihr nackter Körper ist überpräsent, man kennt jetzt all ihre Konturen, die hervortretenden Rippen und den wohlgeformten Busen (sollte man als Kritiker eigentlich nicht sagen). Immerhin war Linda Pöppel mit diesem voyeuristischen Projekt einverstanden und hat sich zur Verfügung gestellt, nicht zuletzt, weil sie auch die Zuschauer*innen zum Nachdenken anregen möchte.
Ästhetik und Opfertum
Zur Darstellung erklingt elektronische Musik (und die ist nicht die schlechteste), die nicht gerade für eine knallharte Sex-Bühne geeignet ist, sondern in einen Club gehört. Dann verführerische Animationsbilder, die zusammen mit der Musik eine hohe atmosphärische Dichte erreichen. Das ist typische Hartmann-Ästhetik – nur leider hier fehl am Platz. Eine solche Ästhetik und Opfertum wollen nicht zueinander passen. Nichts wird berichtet vom Klinik-Aufenthalt und dem Gespräch mit dem Oberarzt: "und dann hab ich angefangen zu erzählen. bei jeder gelegenheit ist mir alles nur so von der seele gerutscht. die ganze lawine hab ich mir vom herzen gequatscht". Der Regisseur hingegen lässt Pöppel nur stammeln oder einige zerlegte Satzbrocken herausschreien. Eine immer noch kämpfende Frau wird bei ihm zu einem reinen Lustobjekt degradiert. Hartmann hat Deigner regelrecht entmachtet. Es ist aber mitnichten so, dass ein Regisseur mit einem Text schalten und walten kann, wie es ihm gefällt. Vor allem, wenn er das ursprüngliche Vorhaben des Dramatikers konterkariert.
In Stanniolpapier
von Björn SC Deigner
nach einer Idee von Anna Berndt
in einer Fassung von Sebastian Hartmann
Autorentheatertage, keine Uraufführung
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Licht: Thomas Langguth, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Linda Pöppel, Frank Büttner, Manuel Harder.
Deutsches Theater Berlin, Aufführung vom 22. Juni 2018
Dauer: 100 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)