Aufführungsplakat

 

Angedeutete Gesten und viel Text

Ein Hörspiel oder eine theatralische Lesung, wo nur Texte heruntergesprochen werden, ist es nun nicht. Kathleen Morgeneyers Iphigenie schöpft aus einem ganzen Sortiment aus mit feuchtem Blick getragenen Leidensmienen, die sie je nach Sachlage verändert. Gelegentlich geht sie auch in die Offensive mit dem Zweck, all das Düstere aus den vertrockneten Herzen von Orest und dem ehegierigen Thoas auszutreiben. Sie vertraut auf ihre Retterin Artemis/Diana: Hat nicht die Göttin, die mich rettete, allein das Recht auf mein geweihtes Leben? Aber letztlich unterliegt im Innern die Priesterin der Neigung, Botschafterin des Humanismus zu sein.- Auf der Bühne passiert wenig, was Handlung und Interaktion anbelangt. Die schwarze Bühne wird zu Beginn – musste es so schnell sein? – weiß angestrichen. Im weiteren Verlauf sind auch die Gesichter, die Haare und die Füße unkonventionell weiß dekoriert wie bei einer Zubetonierung. Oliver Stokowski spielt den Thoas, aufstrebende Haarbüschel flankieren den Schädel, als sei eine Kopie von Schopenhauer anvisiert. Das Ensemble kommt meistens mit angedeuteten Gesten daher, die für optische Detailfreunde viel ausdrücken sollen, aber wenig bewirken. Gelegentlich wird es auch mal lauter: Auch Göttern, Halbgöttern und profanen Menschen passiert so etwas, etwa wenn man die eigene Meinung durchsetzen möchte.

 

Das Herz pulsiert auch ohne Götter

Insgesamt fehlt diesem asketischen Dichtertheater einiges an Esprit und Verve. Ivan Panteleev hat in seinem verhaltenenen Pazifismusrausch zu sehr das Geistig-Humanistische in Anspruch genommen und via Morgeneyer seine Mission im Stile eines Pioniers herausposaunt. Schiller, der immer das Pädagogische im Sinn hatte, hätte seine wahre Freude an des Regisseurs Projekt gehabt: Die versteckt heroische bis schlichte Verkündung einer alles überwölbenden Menschlichkeitsidee. Genau das forderte er auch ein bei Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre, aber Goethe, der Meister, wollte da nicht mehr so ganz. Aber Panteleev will. Hinter all der Schlichtheit,Textreferierungslust und unabsichtlichen Langeweile schimmert ein Verkündungspathos hindurch. Der stellenweise aggressive Pylades (Camille Jammal) und der nicht uninteressante Arkas (Barbara Schnitzler) hingegen werden zu handlungsarmen, deklamierenden Statisten degradiert. Prätentiöse Raumfüller oder dekorative Elemente, die wenigstens gelegentlich aufhorchen lassen. Die zentrale Aussage ist wohl, dass Iphigenie die Kraft nicht durch die Götter verliehen wurde, sondern durch ihr Herz. Und durch dieses glühende Herz wird auch das Göttliche ins Menschliche herabgezogen. Gewiss, diese Inszenierung ist etwas blutarm, teilweise verstörend, aber inhaltlich hochrelevant. In einer Zeit, in denen Menschen teilweise von oben herab wie Waren behandelt werden, tut der Inhalt ganz gut. Um eine Verbesserung der Gegenwart ist es Panteleev zu schaffen, um eine schöne Vision der Zukunft. Das scheint seine wahre Liebe zu sein.

Iphigenie auf Tauris
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Ivan Panteleev, Bühne und Kostüme: Johannes Schütz, Sound-Design: Martin Person, Licht: Robert Grauel, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Oliver Stokowski, Kathleen Morgeneyer, Moritz Grove, Barbara Schnitzler, Camill Jammal.

Deutsches Theater Berlin, Premier vom 14. 10. 2016
Dauer: 120 Minuten, keine Pause

 

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