Deutsches Theater Berlin: Kritik von "jedermann (stirbt)" - Ferdinand Schmalz
Autorentheatertage. Stefan Bachmann inszeniert eine neue Version von Hoffmannsthals "Jedermann". Jedermann ist hier ein Börsenspekulant, der gerne ein Tycoon sein möchte.Oliver Stokowski (Bild: © Georg Soulek)
Geld ohne (Herzens-)Bildung
Olaf Altmann (Bühne) hat eine goldfarbene Wand geschaffen, einen Schutzwall, in die ein Loch, genauer: eine rotierende Röhre eingelassen ist. Dort thront Jedermann (Markus Hering) wie ein Herrscher, der, wie er vermeint, aus dem mikrokosmischen Ausblick einen Überblick gemacht hat. Zuweilen kommt es vor, dass alle acht Figuren des Ensembles sich in der Röhre zusammendrängen, sie sind fast aneinandergeschmiegt, aber weit voneinander entfernt. Der noch aktuelle Bachmann-Preisträger favorisiert eine antiquierte Syntax, die nicht unoriginell ist, und wechselt mitunter in die heutige Sprache, wenn der Anlass es hergibt. Im Einklang mit der Wand tragen alle Akteur*innen goldfarbene Kleidung in den verschiedensten Facetten. Versiert in Angelegenheiten der Steuerhinterziehung geht es Jedermann allein um Kapitalakkumulation und jene Dinge, die Nicht-Materielles betreffen, wehrt er sogleich ab. Esoterisches Geschwätz!, so wird seine Gattin (Katharina Lorenz) belehrt. Wenn sie und Jedermanns Mutter (Elisabeth Augustin) ihn nicht gerade bewundern, werden sie zurechtgewiesen und auf Linie gebracht. Im Grunde ist dieser Jedermann sehr eindimensional und monokausal angelegt, er jagt jenen Klischees hinterher, die man einem parvenuhaften Reichen eben zuschreibt, und die Bildung bleibt vollkommen auf der Strecke.
Alle Lust will tiefe Ewigkeit
Während am Anfang Jedermann noch majestätisch in der Röhre steht und beobachtet, was alles hinter und unter ihm liegt, beginnt sich die Röhre immer schneller zu drehen, bis er den Halt verliert. In einem Augenblick äußerster Seelenpein ergreift ihn eine Panik, er sieht einen Garten im eigentlichen Garten, zertrampelt Blumen und rastet aus. Die (teuflisch) gute Gesellschaft weiß, "dass es die eigenen Mauern sind, die ihn begraben". Was am Morgen noch eine Festung war, ist nun eine Ruine. Die von Barbara Petritsch gespielte Buhlschaft Tod kündigt das Sterben an, "denn das Leben schmeckt nach nichts, ohne den Tod". "Alle Lust will tiefe Ewigkeit", sagt, besser: singt Nietzsche. Und eine Ewigkeit gibt es nicht im Diesseits. Hering spielt den Fall eines großen Mannes mit Hochmut, Glätte und einem Einschlag von Zyniker-Humor. Textlich ist das Unternehmen etwas übertrieben – diese glorifizierte Geldfixiertheit ist zur Manie ausgewachsen, ihr haftet wegen der Seelenlosigkeit etwas geradezu Pathologisches an. Trotzdem, Darstellung und Präsentation sind sehenswert.
Jedermann (stirbt)
von Ferdinand Schmalz
nach Hugo von Hofmannsthal
Regie: Stefan Bachmann, Bühnenbild: Olaf Altmann, Kostüme: Esther Geremus, Komposition und musikalische Leitung: Sven Kaiser, Choreographie und Körperarbeit: Sabina Perry, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Hans Mrak, Livemusik: Sven Kaiser, Béla Fischer.
Mit: Oliver Stokowski, Mavie Hörbiger, Markus Hering, Katharina Lorenz, Barbara Petritsch, Markus Meyer, Sebastian Wendelin, Elisabeth Augustin.
Gastspiel des Wiener Burgtheaters, Premiere war am 22. Februar 2018
Deutsches Theater Berlin, Aufführung vom 12. Juni 2018
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)