Marcel Kohler als Roßmann, in einer ...

Marcel Kohler als Roßmann, in einer fremden Welt (Bild: © Arno Declair)

Dem Überlebenswillen geht die Luft aus

Die gefaltete, zackige Bühnenwand könnte nicht grausiger sein. Wer solche für Rentnergemütlichkeit taugliche Muster als Dekor bevorzugt, darf sich nicht wundern, wenn Freunde einen Privatbesuch ablehnen und stattdessen einen Café-Treff vorschlagen. Diese Dämmerungsstimmung verweist auf Roßmanns innere Verfassung. Marcel Kohler spielt diese Rolle, mit Naivität, viel Verve, aber ohne jegliche Verschlagenheit, ohne Weltgewandtheit. Schon früh wird klar: Dieser Jüngling, bei der Ankunft in den Staaten erst 16-jährig, ist ein Opfer. Wie sich bald herausstellt, auch bei Frauen, egal, wer da gerade kommt. Auf dem Landgut von Herrn Pollunder (Edgar Eckert) verführt ihn dessen Tochter Klara (Regine Zimmermann) und verprügelt ihn beinahe, obwohl sie Herrn Green (Frank Seppeler) versprochen ist. Erst springt die kleine Klara an die entblößte Brust des Hünen Karl, dann setzt sie ihren Fuß auf den darniederliegenden Körper. Regine Zimmermann spielt alle Frauenrollen (Klara, Oberköchin, Brunelda), teilweise mit verschiedenen Akzenten und Dialekten und rauem Wiener Charme, und immer wieder hängt sie an Kohlers schmaler Brust wie ein Klammeraffe. Er lässt die Körperattacken wehrlos über sich ergehen, nur bei den beruflichen, quasi geschäftlichen Angelegenheiten kommt es zu zaghaften Wehrversuchen, die freilich der überall vorherrschenden Rigorosität und Perfidie nicht gewachsen sind. Kohler, ein grandios aufspielender Schwächling, für den kein Mitgefühl aufkommen will – es reicht nur zum Mitleid. Und Regine Zimmermann spielt, wie man sie in der Schaubühne nie gesehen hat, als habe sie sich einer Zwangsjacke entledigt und könne sich an der Heimatstätte endlich wieder originär austoben. Die Schauspieler*innen haben extrem viel Freiraum – das ist angenehm für die Zuschaueraugen, aber auch ein Problem dieser Inszenierung.

 

Ulrich Matthes, Marcel Kohler

© Arno Declair

 

 

Schauspielerische Stärke übertüncht kargen Inhalt

Pařízek absolviert jede Szene bravourös, hakt sie ab, hat aber keine aussagekräftige Botschaft. Er liefert Kafka als Bildermaschine. Die Inszenierung hat vielleicht eine Aussage, und die ist der auf beinahe militärische Rangordnungen zählende Turbo-Kapitalismus mit all seinen Repressionen. Dazu sprechen die Akteur*innen die unterschiedlichsten Akzente, als sei die Fahrt in die USA eine Wallfahrt zur multikulturellen Gesellschaft, die sich allerdings aus Motiven der Adaption und Anpassung als sehr böse erweist. Mimikry statt Devianz. Und das Verhältnis von Macht und Ohnmacht ist nun aber wahrlich nichts Neues. Nun, das routinierte Abspulen der Szenenfolge ermöglicht den zum Teil großen Theaternamen, die das Ganze letztlich richten sollen, das Ausspielen ihrer durchaus ungewöhnlichen Talente. In der Tat, es ist großes Schauspielertheater, und einigen Zuschauer*innen reicht das schon für einen halbwegs vergnüglichen Premierenabend mit einem tollen, diesmal subtil-sadistischen Ulrich Matthes. Bedauerlicherweise wird durch die schauspielerische Stärke der karge Inhalt übertüncht. Man fühlt sich an Schriftstellerlesungen erinnert, wo die exquisite Betonung, der exklusive Vortrag das Erzählte dermaßen in den Schatten stellt, dass man glaubt, einer Show beizuwohnen. Gewiss, der Intendant Ulrich Khuon besitzt einen gewaltigen Talentschuppen, doch mitunter werden die Kräfte bei der Sinnsuche sinnlos verpulvert, da nur das Auge und die Ohren anvisiert sind und der Verstand im Stich gelassen wird. Die Verkleidunsmaschinerie läuft auf Hochtouren, die goldgeprägten roten Uniformen der Liftboys – auch der Oberportier (Seppeler) und die sich für Karl einsetzende Oberköchin (Zimmermann) tragen sie – sind klassisch-authentisch, eignen sich in der heutigen Zeit jedoch am besten zum Kostümball. So geht es weiter bis zum Schluss, bis zum "Naturtheater von Oklahoma", wo viel Schaum und weiße Lockenperücken dominieren, wo das kunstvoll verbrämte Boulevardtheaer friedlich Urständ feiert. Doch selbst in der scheinbar freien Kunstlandschaft walten Direktiven und Rangordnungen. Eine Entlassung aus der Gefangenschaft gibt es nicht, so grob ist der dargestellte Fatalismus. Frei ist nur der Geist – ganz im Sinne Luthers: Wenn der Fürst sagt, zwei und zwei sind fünf, dann ergibt das eben fünf. Dabei zerbricht die geistige Freiheit an den Zwängen des Alltags. Auffällig in dieser Inszenierung sind die permanent auftauchenden nackten Oberkörper der männlichen Darsteller. Wenn das Frauen machen würden, hätten Khuon und Pařízek vielleicht eine Sexismus-Debatte im Nacken.

Amerika
nach dem Roman "Der Verschollene" von Franz Kafka
in einer Fassung von Dusan David Parizek
Regie und Bühne: Dusan David Parizek, Kostüme: Kamila Polívková, Musik: Marcel Braun, Dramaturgie: Birgit Lengers, Licht: Cornelia Gloth.
Mit: Marcel Kohler, Regine Zimmermann, Frank Seppeler, Edgar Eckert, Ulrich Matthes.

Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 27. September 2017
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!