Kabinenansprache mit Furor

Wer die Kammerspiele betritt, stößt auf eine Tafel mit der Aufschrift: "Wer den Club nicht liebt, soll Deutschland verlassen." Auf der Bühne sieht es tatsächlich wie in einer Mannschaftskabine aus. Zwei Sitzbänke sind aneinandergerückt, darüber ein Stangengerüst, das braune Spielgerät, wie ein geschrumpfter Medizinball aussehend, liegt bereit. Konrád, ein taktisches, anspornendes Brüllen einsetzend, erteilt scharfe Anweisungen, schließlich sei der Club eine Legende, der die Zukunft gehört. Die Tatsache, dass der Kapitän andere mitreißen und den Ordner spielen soll, ist wohl für die meisten Zuschauer*innen, gelinde gesagt, von geringem Interesse. Gerd Beyer: Verletzlich und souverän, in all der Empörung kraftvoll und sensibel zugleich. Um dem Publikum weitere Zumutungen zu ersparen, wechselt er das Thema und kommt auf den Hauptgegner zu sprechen. Untermenschen-Empfindungen sprudeln an die Oberfläche, denn die Juden brachten den Ball, das Spiel und werden nun unterdrückt. Man selbst schießt nur mit Bällen, die Anderen aber mit Bleikugeln. Was für ein grausiges Gefühl bei Hitlers Flugzeug-Wahlkampf 1932! Eine Art angewiderte Bewunderung, etwas Unheimliches und Abstoßendes, das zugleich auch eine gewisse Anziehungskraft besitzt.

 

Albert Ostermaier

© Amrei-Marie / Wikipedia

 

Die Juden sind schuldig, egal ob sie es sind oder nicht

Spannender wird es, als ein Typ im Gestapo-Mantel und mit Pistole in der Kabine auftaucht, um gegen die "jüdische Weltverschwörung im Fußball" vorzugehen. Es entwickelt sich ein heftiges Zwiegespräch, ein gandenloses Wortgefecht, bei dem sich der Jude massiven Anschuldigungen ausgesetzt sieht. Der Nazi namens Stürmer (Martin Bruchmann) hält ohnehin die Juden für schuldig, egal ob sie es sind oder nicht, im Übrigen sind alle Juden Kommunisten und der deutsche Geist ist hoffnungslos verjüdelt. Derartige Vorwürfe sind für die heutigen geschichtsbewussten Zuschauer*innen im Grunde nur Banalitäten, schrecklich zwar, aber längst bekannt. Langweilig, möchte man sagen, aber die beiden Schauspieler bewerkstelligen das recht clever und erzeugen ein aufwühlendes Prickeln, das einem Höhepunkt entgegenzutreiben scheint. Der Trainer fordert seinen Kontrahenten zu Liegestützen auf, dann spielen sie zusammen Fußball. Die vorgetäuschte Kumpani hört auf, als Stürmer, der übrigens einst von Konrád als Club-Spieler abgelehnt wurde, ihn zu Boden stößt. Völlig überraschend zieht der Trainer eine Waffe. Was macht nun Stürmer? Klar, wer ein richtiger Nazi ist, der droht mit Sippenhaft. Nach gegenseitigen Abschussversuchen steht der Nazi immer noch da wie ein Baum – und weint. Hinter Stürmers unverwüstlicher Aggressivität lauern Weichherzigkeit und Schwäche, die er geschickt verbergen konnte. Er ist ein Sensibelchen, das zum Sieger nicht geboren, aber berufen wurde. Ein großes Theatererlebnis ist diese Aufführung wahrlich nicht. Beyer und Bruchmann versuchen aus dem – abgegriffenen – Thema wenigstens noch etwas herauszuholen, das man mitnehmen kann.

Linke Läufer (Erster sein)
Ein Requiem für Jenö Konrád von Albert Ostermaier
Regie: Oliver D. Endreß, Bühne: Birgit Leitinger, Kostüme: Linda Siegismund, Musik: David Rimsky-Korsakow, Dramaturgie: Katja Prussas.
Mit: Gerd Beyer, Martin Bruchmann.

Staatstheater Nürnberg, Aufführung vom 16. Juni 2017
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
 

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