Edgar Eckert, Maren Eggert

© Arno Declair

 

 

Ausleben der Individualität

Es mag sein, dass Wolf mit Kolchis und Korinth die DDR und die BRD gemeint hat, aber derartige Überlegungen spielen in der Inszenierung von Tilmann Köhler keine Rolle. Auf der Bühne ist eine große Wasserlache, ein kleines Planschbecken. Zum Austoben für die angeblich wilde, mit Zauberkünsten begabte Kolcherin – aber dazu braucht man kein Wasser. Was sich die Regie hierbei gedacht hat, wissen nur die Götter. Da das Wasser nun einmal da ist, macht Maren Eggert als Medea von ihrem Spieltrieb geradezu hemmungslosen Gebrauch. Sie ist es, die ständig herumtollt, während das Personal zumeist unbeweglich im Hintergrund steht wie Schaufensterpuppen. Auch Glauke (Kathleen Morgeneyer) wälzt sich einige Male im Minimalbecken, sie hat zuweilen epileptische Anfälle, die ein bisschen zu heftig ausgebreitet werden, und wird von Medea psychisch kuriert. Jason (Edgar Eckert) hingegen ist eher ein Waschlappen, er wirkt nicht wie ein Handlungsantreiber, er ist ein Getriebener, inklusive Teilstilisierung zum Opportunisten. Wer sich wie Jason bequem akklimatisiert und anpasst, hat es leicht, im Gegensatz zu Medea, die ihre Individualität nicht nur nicht aufgibt, sondern geradezu auslebt. Maren Eggert legt viel Druck in ihre Stimme, fast etwas ungewöhnlich bei ihr, und dieses Selbstbewusstsein ist es unter anderem, was bei den Korinthern aneckt. Darüber hinaus fällt Medea noch ihre einstige Schülerin Agameda (Lisa Hrdina) in den Rücken, die sich komplett gegen Medea stellt und sich mit ihren Gegnern arrangiert. Rache, ja der Durst nach Nemesis schreit in Hrdinas Worten, die überall widerhallen. Es ist dies eine einzige Anklage – einer Enttäuschten. Immerhin, so erfahren wir, wird Medea nicht nur durch Männer zur Strecke gebracht.

 

Mit erhobenem Kopf

Infernalisch sind sie, diese Astronomen. Akamas (Helmut Mooshammer) und Leukon (Thorsten Hierse) gehören zur Kamarilla von König Kreon. Mosshammer, in einem seriösen grauen Anzug steckend, der halb über die Nässe gleitet, will Medea nur wegräumen, hinter seiner Jovialität steckt ein bösartiger Intrigant. Hierse, scharf deklamierend, ist die etwas weichere Linie, der man bestenfalls Halbopportunismus vorwerfen kann. Köhler hat versucht, aus dem Roman, der aus zahlreichen Monologen besteht, ein Handlungsgewebe zu flechten. Es gelingt ihm nur teilweise, es wird immer noch eine Menge monologisiert und die Auflösung in Dialoge lässt viel Leerraum offen. Gut, Medea ist rehabilitiert, doch die patriarchalischen Strukturen bleiben in dieser Inszenierung weitgehend bestehen. Eine weibliche Emanzipationsgeschichte sieht anders aus, Medea, die letztlich mit erhobenem Kopf in der Verbannung weiterlebt, ist auch eine Geschichte des Scheiterns. Großartig dargestellt wird ihre Unerschrockenheit, kurz: Die Rettung ihres Selbst.

 

Medea. Stimmen
von Christa Wolf
Regie: Tilmann Köhler, Bühne: Karoly Risz, Kostüme: Susanne Uhl, Henrike Huppertsberg, Musik: Jörg-Martin Wagner, Puppenbau: Franziska Stiller, Karen Schulze, Andreas Müller, Dramaturgie: Juliane Koepp, Live-Musik: Michael Metzler.
Mit: Thorsten Hierse, Maren Eggert, Kathleen Morgeneyer, Lisa Hrdina, Edgar Eckert, Helmut Mooshammer, Johanna Kolberg.

Deutsches Theater Berlin, Kammerspiele, Premiere vom 5. April 2018
Dauer: 2 Stunden 25 Minuten, keine Pause

 

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