Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Nathan der Weise" – Andreas Kriegenburg
Premiere zum Spielzeitbeginn. Der Regisseur Kriegenburg versetzt Lessings Drama in eine archaische Zeit und setzt auf viel Humor.
Vor der Premiere
© Steffen Kassel
Humor zum Schmunzeln
In der Tat, archaisch mutet diese Welt an. Sechs Schlammgestalten bewegen sich um einen aus Latten errichteten riesigen Würfel, der ihnen wie ein gänzlich unbekanntes Phänomen vorkommt. Zunächst ist alles noch Pantomime, wie bei einem Stummfilm, der von einem billigen Klavierspiel untermalt wird, leider ohne die begleitenden Worte des Off-Sprechers Hanns Dieter Hüsch. Die Figuren kratzen unbeholfen an den Latten, um einen Einlass zu finden, aber erst später finden sie Türen, die den Blick auf eine bescheidene Wohnstube freigeben. Als die Schauspielerinnen und Schauspieler zu sprechen anfangen, wird allmählich die Handlung entrollt, die einigermaßen werktreu, aber trotzdem etwas bizarr daherkommt. Der – bei einem Teil der Berliner Presse nicht gerade beliebte – Regisseur, der sich gendermäßig nichts vorzuwerfen hat (paritätische Besetzung), unternimmt nämlich einen "Comic"-Trip mit zahlreichen komödiantischen Einlagen und Slapstick-Effekten. Doch nicht die lauten Lacher – sie kommen auch vor - sind das Ziel, sondern jener Humor, der ein Schmunzeln oder ein inneres Lachen hervorruft. Ähnlich wie bei Käthchen von Heilbronn (DT, Dez. 2011) und anderen Inszenierungen gestaltet Kriegenburg ein eigene, vom Original abgelöste Ästhetik, die diesmal ins skurril Utopische hinübergleitet. Die drei mehr oder weniger kämpfenden Frauen – Natali Seelig, Julia Nachtmann und der Potsdamer Neuzugang Nina Gummich – sind in ihrer prähistorischen Verkleidung kaum voneinander zu unterscheiden.
Eine Märchenwelt tut sich auf
Jörg Pose spielt den Nathan in seiner gewohnt schleppenden, nölenden Redeweise, nur dass er sie, am deutlichsten bei der Ringparabel, diesmal absichtlich überzieht. So wie er diese Geschichte erzählt, ist er der langweiligste Märchenerzähler der Welt. Der liberal-muslimische Sultan Saladin (Bernd Moss) reagiert entsprechend und fordert wiederholt zum Fortfahren auf. Immerhin, der Sultan ist's zufrieden, er glaubt, eine wackeren, liberalen Geist gefunden zu haben und schließt Freundschaft. Später lässt Nathan vom Würfel herab aus Dankbarkeit einen Geldregen auf den Sultan fließen, und das Ganze wirkt etwas arg ironisch und grenzt an eine Persiflage. Eine starke Szene hat Natali Seelig als Patriarch: Während sie eine ungemütliche Liquidierung von Nathan beschließt, ist sie als überfette Schabracke gerade mit der Absonderung ihrer Exkremente beschäftigt, auf einer verkoteten Toilette, in die auch ihr umgehängtes Kreuz hineinfällt. Erfreulich ist der Einsatz von theaterimmanenter Selbstironie, wie etwa Bernd Moss, der das überschnelle Sprechen einer Kollegin anprangert – und damit, neben dem nervigen Klaviergeklimper, den einzigen ins Gewicht fallenden Schwachpunkt anspricht. Im Grunde hat Kriegenburg das Märchenhafte der Vorlage ( z.B. die Auflösung, dass Recha die Schwester des Tempelritters und der Sultan ihr gemeinsamer Onkel ist) noch weit überboten und die "Vermärchung" vorangetrieben. Kriegenburg steigt in keine überhitzte Gegenwartsdebatte ein, verzichtet auf jeglichen Kommentar und überlässt das jenen Regisseuren, die sich dazu berufen fühlen. Seine Inszenierung ist mindestens genauso phantastisch wie Lessings am Ende zustande kommende, unglaubwürdige Religionsverbrüderung. Er entwirft eine surreale Welt, die gelegentlich verzaubert, und füttert sie mit viel entspanntem Humor, der zugleich Palliativ und Gegenmittel ist angesichts der entfesselten religiösen (und politischen) Konflikte. Diesmal ein guter Kriegenburg - und damit auch ein guter Spielzeitstart.
Nathan der Weise
von Gotthold Ephraim Lessing
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald Thor, Kostüme: Andrea Schraad, Cornelia Gloth, Licht: Cornelia Gloth, Dramaturgie: Juliane Koepp.
Mit: Bernd Moss, Julia Nachtmann, Natali Seelig, Elias Arens, Nina Gummich, Jörg Pose.
Premiere vom 30. August 2015
Dauer: ca. 2 Stunden, 50 Minuten, eine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)