Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Phädra" – Stephan Kimmig
Premiere. Regisseur Kimmig hat sich Racines Werk vorgenommen und pendelt zwischen gehobener Durchwachsenheit und erschlaffter Kreisklasse.
Corinna Haarfouch während des Zustands der Selbstvergiftung
© Arno Declair
Verratene Liebe und Intrigen
Dies ist ein Stück, in dem unter anderem am Ziel vorbei geliebt wird. Während Theseus' Kriegsabwesenheit verliebt sich Mama Phädra in ihren Stiefsohn Hippolyt (Alexander Khuon), der aber wiederum seine hochgeschraubten Gefühle mit Vehemenz an Aricia (Linn Reusse), die Feindin seines Vaters, geheftet hat. Und die will auch, durch Hippolyts zärtliche und stürmische Liebesbeteuerungen erhält ihr Herz Nachschub und Auftrieb. Doch nun geschieht das, was man kennt und schon tausendmal gehört hat: Nicht erwiderte Liebe schlägt um in Hass und Rache. Phädra und ihre fast hörige Vertraute Œnone (Kathleen Morgeneyer) hinterbringen einzeln oder im Pakt dem zurückgekehrten Theseus (Bernd Stempel) die Nachricht, dass sich Hippolyt an Phädra unsittlich vergangen habe. Jeglicher höfische Stolz ist nunmehr dahingefahren, der König glaubt an die Intrige. Was die Kleidung anbelangt, ist Bernd Stempels erster Auftritt der eines Penners, der sich unte Mühen ins Kleinbürgertum gerettet hat. Später läuft er eleganter herum, trägt eine Sonnenbrille und wirkt wie ein abgehalfteter, Mafia affiner Playboy, der nur noch die Fassade aufrechterhält. Der Große Chef ist eine Gegenwartsfigur, die ins griechisch Mythische verpflanzt wurde, ganz außerhalb ihres genuinen Soziotops. Ganz anders Kathleen Morgeneyer, die von der Regie sogar mit eigenen Verstandeskräften ausgestattet wurde. Sie ist ein quirliger Tausendsassa, der ganz in den höfischen Stil eintaucht, mit hochgesteckten Haaren eine gereifte, aber verspielte Underdog-Dame verkörpernd, die das Mädchenhafte noch nicht abgestreift hat.
Wie im Affekt inszeniert
Corinna Haarfouch muss gar oft die Kostüme und Perücken wechseln. Das enstpricht der chamäleonartigen Wandelbarkeit einer Person, die sich trozdem treu bleibt und sogleich einen Wiedererkennungseffekt erzielt. Und sie muss auch leiden. Als Phädra vor Hippolyt mit ihrem Liebesgeständnis herausrückt, gerät dieser in Wut und reißt sie derart heftig zu Boden, dass die Zuschauer*innen einen Unfall vermuten. Nun, Haarfouch wird's auch freiwillig tun, nach ihrer Selbstvergiftung – sie trägt einen übergroßen, knallroten Reifrock – zappelt sie noch unter Selbstanklagen und Schuldeingeständnissen herum und wirft ihren Körper immer wieder gegen die kahlen Wände (Bühne: Katja Haß). Eine schöne Szene hat auch Khuon Secundus, und zwar, als Hippolyt sein Herz in Arcias Arme wirft. Sein feinnerviges, ins Dramatische gewendete Gesicht zeigt, voller Hoffen und Bangen, eine Zögerlichkeit wie bei jemand, der kurz davor ist, die entscheidenden Worte zu sagen, und jeder merkt: Jetzt geht's ans Eingemachte. Bei all der Impulsivität und den scheinbar spontanen Entschlüssen bleibt für die Figuren kein Raum zum Chillen und Relaxen. Regisseur Kimmig projiziert am Anfang einen Text an die Wand: Der Affekt als Antriebsfaktor. Aber erzeugt der, eben wegen der freiwerdenden irrationalen Käfte, nicht meistens Misverständnisse und Schlimmeres? Und so wirkt das Ganze denn auch: Wie im Affekt inszeniert. Immerhin, der überhitzte Regisseur nimmt die Figuren so ernst, dass er sie nicht denunziert und ihre Gefühlsausbrüche bloßstellt. Er erweckt den Anschein, als habe "Phädra" ihm unter den Nägeln gebrannt. Herausgekommen ist eine eigentlich verzichtbare, aber gerade noch akzeptable Inszenierung, aus der er keine Innovationspotentiale zu schöpfen weiß.
Phädra
von Jean Racine
Deutsch von Friedrich Schiller
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Johanna Pfau, Dramaturgie: Sonja Anders.
Mit: Kathleen Morgeneyer, Alexander Khuon, Corinna Harfouch, Bernd Stempel, Linn Reusse, Mascha Schneider, Jeremy Mockridge.
Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 12. Mai
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)