Vor den Kammerspielen

© Steffen Kassel

 

Liebe für die Nachwelt

Der von Benjamin Lillie gespielte Romeo hat ein bewegtes Herz, das schon durch den kleinsten Anlass zum Glühen gebracht werden kann. Zunächst ist es Rosalinde (Sophia Kennedy), auf die sich seine gesamte libidinöse Energie richtet, dann verliebt er sich beim Maskenball ruckartig in Julia, dargestellt von Wiebke Mollenhauer. Die ist eine von Ulrich Khuons immer größer werdendem Fundus von jungen Schauspielerinnen, die in letzter Zeit die DT-Bühnen fluten. Mollenhauer ist optisch ein zartes Geschöpf, das, noch in der Unschuld des Werdens befangen, von der Liebe wie von einer Sturzwelle erfasst wird. Noch jung an Jahren, ahnen beide Liebenden ihr baldiges Ende, als seien sie mit einem divinatorischen Vermögen ausgestattet. Ihre Liebe erweist sich beinahe als eine Schickung, die einen alten Mystiker-Gedanken aufgreift: Die ewige Verschmelzung im Tod. Bloß ist das keine unvergängliche Liebe, bestenfalls für die Nachwelt, die sich ihrer noch lange erinnern soll. Aber die beiden lieben nicht, um ein Zeichen zu setzen: Sie sind Getriebene, die gar nicht anders können. In einem Programmheft-Interview erklärt Rüping, dass es ihm um nichts anderes als die Liebe gehe, was die Faktoren der Außenwelt, etwa die Feindschaft zwischen den Capulets und den Montagues, konsequent ausschließt. Aber wenn die Wirrnisse des Außen keine Bedeutung für die Liebe haben, kann man sie genauso gut weglassen oder als Atmosphäre schaffende Quisquilien betrachten. Oder, um mit Schopenhauer zu sprechen: Am Ende will der Wille doch, was er will. Egal, welche Hindernisse auftauchen.

 

Die Hebebühne des Glücks

Für einen Regisseur, dem es ausschließlich um die Liebe geht, ist das Ergebnis letztlich äußerst dürftig. Lillie und Mollenhauer mögen ein unauflöslich miteinander verknüpftes Paar spielen, aber die Art und Weise, wie das geschieht, lässt den Zuschauer seltsam kalt. Rüping hat mit seiner Inszenierung auch noch den letzten Rest an Empathie ausgetrieben. Romeos Werben vollzieht sich vor einer Hebebühne, die er durch Klimmzüge zu erreichen sucht. Man fühlt sich wie auf dem Bau, und es hätte nicht verwundert, wenn Rüping die große Liebe in einem Kalkwerk oder einer Betonlandschaft angesiedelt hätte.

 

Grabsluft statt Romantik

Hervorzuheben ist vor allem Michael Goldberg, der gleich drei Rollen verkörpert (Amme, Capulet, Bruder Lorenzo) und gelegentlich über sich hinauswächst. Unverwüstlich geht er in die Zuschauerränge, um Kommunikation wenigstens zu simulieren. Als Bruder Lorenzo flechtet er parodistische und groteske Züge ein, die ihn zur lebendigsten Figur machen. Die Nebenrollen-Expertin Natalia Belitski, die man gerne einmal eine Hauptrolle sehen möchte, kann sich mit ihrem Gesang anfangs gut in Szene setzen, verblasst dann aber, weil sie als Lady Capulet nur ein begrenztes Tätigkeitsfeld ausfüllen kann. Das Paar, eingebettet in eine Sarglandschaft, noch kräftig pubertierend, lässt es sich nicht nehmen, eine Art Doktorspiel durchzuführen, bei dem Julia fern von Wollust an Romeos herunterbaumelnden Penis herumzupft, als handele es sich um einen Tannenzapfen. Als das Licht ausgeht, stehen sie beide nackt da, nur von einem Kerzenschein erleuchtet, der allerdings keine romantische Stimmung erzeugt, sondern von dahinströmender Grabesluft durchzogen ist. Die eigentliche Grabszene gerät dann arg langatmig, Schlaftrunk und Gift verrichten ihr Werk und beiden läuft das Blut in heftigen Rinnsalen aus dem Mund. An einer anschließenden Versöhnung der verstrittenen Familien hat der über alle Maßen blutgierige Regisseur keinerlei Interesse. Immerhin, wenn Rüping diese Liebe als unaufhaltsames Schicksal betrachtet, das von außen nicht zu bremsen ist, wird man auch des Denkens und Interpretierens überhoben. Trotz einiger Schwächen gibt es auch vereinzelte Lichtblicke, die der zersplitterten Inszenierung wenigstens zur Sehbarkeit verhelfen.

Romeo und Julia
von William Shakespeare
Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Christopher Rüping, Bühne: Jonathan Mertz, Kostüme: Lene Schwind, Musik: Christoph Hart, Sophia Kennedy, Dramaturgie: Meike Schmitz, Licht: Marco Scherle.
Mit: Michael Goldberg, Natalia Belitski, Benjamin Lillie, Lisa Hrdina, Marcel Kohler, Wiebke Mollenhauer, Sophia Kennedy, Christoph Hart.

Deutsches Theater Berlin

Premiere vom 28. März 2015
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

 

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