(Bild: © Arno Declair)

Verliebte Gockel lieben falsch

Was immer noch intakt ist, ist das Bedürfnis nach Liebe. Die bestehenden Paare sind bereits ausgehöhlt und innerlich zerbrochen, also hält man Ausschau nach etwas Neuem, Unverbrauchtem, Frischem. Bedauerlicherweise werden die Gefühle an jene geheftet, die sich bereits ein anderes Herz ausgesucht haben. Der Versuch, über die Liebe einen positiven Zukunftsglauben zu erlangen, gelingt eigentlich nur der Ärztin Marja Lwowna (Regine Zimmermann), aber das Problem ist, dass der Auserkorene Wlan (Marcel Kohler) wesentlich jünger ist, etwas zwischen 12 und 20 Jahre. Im damaligen zaristischen Russland undenkbar, aber im aktuellen Deutschland aufgrund des Wertewandels durchaus möglich. Der Gastgeber Bassow (Alexander Khuon) erscheint libidinös indifferent, deshalb stürzt seine kinderlose Gattin Warwara (Anja Schneider) ihr angestautes Zärtlichkeitsbedürfnis auf den Dichter Schalimow (Bernd Stempel), der ihr gleichgültig gegenübersteht und sich mehr mit seiner wachsenden Erfolglosigkeit und seinen Schreibblokaden beschäftigt. Wie ein verliebter Gockel verhält sich der Salonlöwe und Denker Rjumin (Chris Franken), täppisch und unbeholfen auch, wenn er nur in der Nähe von Warwara ist. Sie ist übrigens die einzige Person, die aus dieser Sinnlosigkeit ausbrechen möchte, die raus will, irgendwohin, wo es eine Perspektive. Sie ist bei dem indisponierten, ausgelaugten Haufen noch die Agilste, die die Hoffnung nicht aufgibt. Etwas erratisch mutet ein Auftritt von Kathleen Morgeneyer an, die fast nackt einen Tanz mit Gesang vorführt. Professionell, ohne Zweifel, handwerklich gut und solide und mit dem richtigen Gesicht, aber zu Gorkis Dekadenzvorwurf passt dieses Aufflackern von Aufbruch und Lebensfreude nicht.

 

Im Vordergrund: Anja Schneider, Kathleen Morgeneyer

© Arno Declair

 

Niemand will Einfluss nehmen

Die Schauspieler*innen sitzen in einem kahlen Kasten, die gerade nicht Spielenden hocken auf dem Boden oder auf Holzklappstühlen und beobachten das Treiben der Mitstreiter*innen. Es gibt auch mal ein üppiges Pique-Nique mit Blumen oder Alexander Khuon duscht sich nackt ab. Ansonsten herrscht Leere, die Konzentration liegt ganz auf dem Schauspiel. Ein Bild, das wir von dieser Bühne kennen – als habe die Regisseurin Daniela Löffner die Inszenierung eigens für das Deutsche Theater gemacht. Nicht nur, dass Gorki dem gehobenen Bürgertum Versagen und Verfall unterstellt – er lässt es auch in der Liebe scheitern. Die Aussage lautet: Sie sind nicht nur zu dumm zum Leben, sondern auch zu dumm in der Liebe. Immerhin sind die geheimen und offenen Herzensangelegenheiten das Einzige, was sie noch in Schwung und Vitalismus versetzt. Ansonsten möchte niemand gesellschaftlichen Einfluss geltend machen, trotz der Chancen im geschäftlichen und politischen Getriebe, und niemand möchte sich entscheiden, sondern alles in der Schwebe halten. Hier lässt sich eine Brücke schlagen zu einem Interview mit dem Soziologen Heinz Bude, das im Programmheft abgedruckt ist. Bude zufolge haben die Deutschen ein massives Problem damit, angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten wichtige Entscheidungen zu treffen, denn es könnten die irreversibel falschen sein. Und in Anbetracht der Individualisierung des Lebens steigt der Wunsch auf, sich die Zukunftswahl – von einer höheren Instanz? - abnehmen zu lassen. In summa lässt sich sagen: Wieder mal eine der besseren Inszenierungen im Deutschen Theater.

 

Sommergäste
von Maxim Gorki
Übersetzung: Ulrike Zemme
Fassung: Daniela Löffner und David Heiligers
Regie: Daniela Löffner, Bühne: Claudia Rohner, Kostüme: Eva Martin, Musik: Matthias Erhard, Licht: Cornelia Gloth, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Anja Schneider, Christoph Franken, Helmut Mooshammer, Alexander Khuon, Linn Reusse, Maike Knirsch, Marcel Kohler, Frank Seppeler, Kathleen Morgeneyer, Nikolay Sidorenko, Andreas Pietschmann, Natali Seelig, Bernd Stempel, Regine Zimmermann, Caner Sunar.

Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 23. Februar 2018.
Dauer: 240 Minuten, eine Pause

 

Laden ...
Fehler!