Benjamin Lillie, Cammil Jammal ...

Benjamin Lillie, Cammil Jammal, Ulrich Matthes (Bild: © Arno Declair)

Schatten der Vergangenheit

In der Tat, Krafts stark angeleuchtete Figuren haben doppelt so große Schatten. Beim Schattenspiel denkt man zunächst an Goethe, von dem etliche Schattenbilder existieren. Und dann die strittige Farbenlehre. Und schließlich das Zitat: "Wo viel Licht ist, ist starker Schatten." Die Lichtmeisterin Cornelia Gloth macht davon nahezu hemmungslosen Gebrauch. Während im vielleicht schönsten deutschen literarischen Märchen – Adalbert von Chamissos "Schlemihl"- der Wegfall des Schattens für Identititätslosigkeit, Seelenverlust und fehlende heimatliche Verankerung steht, wirken hier die Schatten wie die Mächte der Finsternis, mit denen alle Figuren zu ringen haben. Die Schauspieler*innen werden beinahe erdrückt von ihren Dunkelheitssilhouetten, die wie ein dauerhaftes Menetekel hinter ihnen schweben. Ulrich Matthes, der die Chefkrücke repräsentiert, zeigt mitunter großartige Lichtblicke und lässt einige wenige farblose DT-Auftritte, die es in Film und Fernsehen bei ihm nicht gibt, vergessen. Seine Gattin Linda (Olivia Grigolli), mehr als eine Lebensabschnittsbegleiterin, taugt als rückenstärkendes Fundament nur wenig. Ihre Kraftlosigkeit, die trotz guten Willens stark hindurchschimmert, erweckt nicht gerade die Kampfeslust von Willy. Der wiegt sich in Illusionen und denkt an die nicht wiederkehrenden, schönen Schatten der Vergangenheit.

 

Die Ellenbogen sind zu schwach im Überlebenskampf

Eine gelungene Szene ist die zwischen Loman und dessen Arbeitgeber Howard Wagner (Moritz Grove). Der, ausgestattet mit einer schnittigen, an Vertreter der GSG9 erinnernden Kampffrisur, ist ein klassischer Homo oeconomicus, der Menschen nur gebrauchen kann, solange sie wirtschaftlich verwertbar sind. So etwas wie Seele und private Probleme kennt der Verfechter des reibungslosen Funktionierens nicht. Immerhin ist Loman nicht der einzige Gestrandete. Seine Söhne Biff (Benjamin Lillie) und Happy (Camill Jammal), beide noch bei den Eltern lebend (!), sind Looser-Typen par excellence. Während Happy ein nichtssagender stiller Mitläufer ist, der gerade noch gedulded wird, ist Biff ein ernstgenommener Gescheiterter, der sein Versagen kraftvoll herausbrüllt, als könne er aus der Tatsache, die Welt von unten zu sehen, eine Art Genuss ziehen. Im Grunde ist die Inszenierung die Geschichte eines Mannes, den die Wirklichkeit überholt hat. Die Zeit ist schneller als er. Matthes nutzt die Gelegenheit, um aus seinem variantenreichen Reservoir zu schöpfen. Ein solider Handwerker, gelegentlich die Feintechnik hervorholend, bedeutungsschwer und als gewordenes Nichts noch erstaunlich ausdrucksstark. Bei manchen Darsteller*innen hingegen hat man den Eindruck, dass sie von ihren Bühnenressourcen nicht ausreichend Gebrauch machen. Ein gute Figur gibt Harald Baumgartner ab, der im DT nur noch selten zu sehen ist. Selbstverständlich ist dieses Drama Kapitalismuskritik, und zwar eine recht massive. Bei einem derartigen Konkurrenzdruck mit eminenter Ellenbogen-Unkultur bleiben viele Menschen auf der Strecke, die nicht mithalten können oder wollen. Man fühlt sich an klassische Sätze erinnert: Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Derartige Bataillonen von Zukurzgekommenen, von den politischen Chefetagen geflissentlich übersehen, erzeugt der Kapitalismus trotz einiger Vorzüge weltweit. Hinzu kommen noch die freiwilligen Selbstabgehängten. Insofern ist das Drama zeitlos und hochaktuell zugleich. Eins lässt sich zum Schluss noch sagen: Dem Deutschen Theater sind momentan die weiblichen Zugpferde ausgegangen.

 

Tod eines Handlungsreisenden
von Arthur Miller
Regie: Bastian Kraft, Bühne: Ben Baur, Kostüme: Inga Timm, Video: Stefan Bischoff, Musik: Björn SC Deigner, Licht: Cornelia Gloth, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Ulrich Matthes, Moritz Grove, Harald Baumgartner, Benjamin Lillie, Camill Jammal, Olivia Grigolli, Linda Blümchen, Jürgen Huth, Ruby Commey, Ulrike Harbort, Timo Weisschnur.

Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 17. März 2017.
Dauer: 100 Minuten, keine Pause

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