Kein Bodycheck im Krankenhaus

Die drei jungen Schauspieler*innen tragen Markenturnschuhe, Jogginghosen und Känguru-Pullover mit Kapuzen, die mitunter über den Kopf gezogen werden, als handele es sich um Linksaktivisten bei einer Demo. Um Politik oder das Aufbegehren gegen gesellschaftliche Missstände geht es in dem verspielten Stück aber überhaupt nicht. Es ist zeitlos, wahrscheinlich modern, scheint aber doch nicht ganz aktuell zu sein. Wie aus heiterem Himmel erfährt Friedrich bei einem Arztbesuch von seiner weit fortgeschrittenen Krebserkrankung. Deshalb ist davon auszugehen, dass der schläfrige, unbekümmerte Patient noch nie einen kompletten Bodycheck im Krankenhaus durchführen ließ. Heutzutage ist durch eine Computertomografie die Bildung von Metastasen im Anfangsstadium bequem zu diagnostizieren. Das Stück hat also einen leicht märchenhaften Charakter, der durch die Vermischung von Zeitebenen, von Realität, Reflexionen, Reminiszenzen und Phantasmagorien noch forciert wird. Noch märchenhafter wird es, als ein zotteliger Kostüm-Eisbär auf der Bühne auftritt, die Hiobsbotschaft verkündet und mit einer elektronisch verzerrten Sprache aufwartet, als würde durch ein Metallrohr gesprochen. Putzig anzusehen wie beim besagten Kindergeburtstag. Um den Eindruck zu verschärfen, lässt der Regisseur Nicolas Charaux im Laufe der Aufführung permanent Gegenstände auf die Bühne werfen. Alles Mögliche liegt und schwebt da herum: Luftballons, Tennisbälle, Schwämme, vollgestopfte Müllsäcke als Sitzablagen, aber auch Blumen, eine Horrormaske und ein erigierter Kleinphallus. Der reinste Trash-Laden, so wie das Innere von Friedrich.

 

Der Humor bleibt im Hals stecken

Stefan Hornbach schreibt einfache Sätze, meistens ohne Nebensätze, fast wie ein 14-Jähriger, der sich als Frühreifer bemüht, nicht ganz jugendfrei zu sein. Der S. Fischer Verlag hält das für hohe Literatur und druckt das Werk nun ab. Jana (Marie-Luise Stockinger), die Kindheitsliebe von Friedrich, ist, so erfahren wir, eine kleine indifferente Sadistin, die aus Langeweile gerne Tiere quält und ihm als Teenagerin die Fresse polieren möchte, "um zu wissen, wie sich das anfühlt". Sie wird dargestellt wie jemand, der sich schon in der Pubertät für die Hooligan-Szene empfiehlt. Trotzdem hängt Friedrich an seiner Jugendliebe, noch als moribunder Krebskranker, der aus Fristverlängerungsgründen mit Chemie vollgepumpt wird. Doch im Grunde ist Jana nur eine Kopfgeburt, die sich in jenem Gehirnareal eingenistet hat, wo die sensiblen Emotionszentren liegen. Jana könnte auch eine andere sein. Im Text wird quasi ein Durchspielen vom Möglichkeiten und Varianten durchexerziert. Man fühlt sich an Max Frischs Mein Name sei Gantenbein erinnert. ‚Ich stelle mir vor', dann wird eine neue Version vorgestellt. Offensichtlich wollte Stefan Hornbach etwas possenhafte Leichtigkeit und Verve in sein Werk integrieren. Bei der endgültigen Krankheitsdiagnose sagt der Arzt nicht Tumor, sondern mehrmals Humor. Anscheinend, so äußert sich Hornbach in einem im Programmheft stehenden Interview, wurde das von seiner wohlwollenden Privatkamarilla goutiert. Hätte er doch besser Außenstehende gefragt, denn eine zur Agonie führende Schwerstkrankheit eignet sich denkbar schlecht für eine Verspaßung. Das aber versucht der Regisseur Nicolas Charaux, indem er sein ausdrucksminimalistisches Kleinensemble ohne jegliche Empfindsamkeit wabern lässt. Eine Inszenierung, die hart an der Toleranzschwelle entlanghangelt.

Über meine Leiche

Von Stefan Hornbach

Regie: Nicolas Charaux, Bühne + Kostüme: Pia Greven, Musik: David Lipp, Dramaturgie: Klaus Missbach.

Es spielen: Tino Hillebrand, Merlin Sandmeyer und Marie-Luise Stockinger.

Deutsches Theater Berlin

Voraufführung vom 12. Juni 2016

Dauer: 75 Minuten

 

Laden ...
Fehler!