(Bild: © Arno Declair)

Grube und Pendel

Es ist Hartmanns Sache nicht, profane Durchschnittsbegebenheiten zu zeigen oder gar die Kernpunkte des Romans in verknappter Form zu präsentieren. Mitunter werden die Inhalte von "Ulysses" nur gestreift, um sie auf eigene Weise unbebildert zu illustrieren. Was wir lediglich sehen, ist eine kahle Bühne mit Tür-Zeichnungen an den Wänden, grellrotes Licht und zwei schwarze Kugeln, die sich von der Decke herab auf und ab bewegen. Einmal rückt ein Meteorit dermaßen dicht an einen Liegenden heran, dass er zerquetscht zu werden droht, doch der kosmische Körper entschwindet wieder in die Höhe: "Grube und Pendel" von Edgar Allen Poe. Aufgrund der geringen Textbindung wird man dazu verführt, jede Wiedererkennung des Werks dankbar zu registrieren: Aha, etwas Romanbezug ist doch vorhanden in dieser frei schwebenden Inszenierung, die das Inwendige, nicht Sichtbare, nur Erlebte zum Gegenstand theatraler Auseinandersetzung erhoben hat. Es ist ein Totenreich und ein Totentanz. Hier existieren in einem Daseinswinkel in Agonie Liegende, Moribunde, Verwesende, die sobald wieder aufstehen und lange Schatten hinter sich herziehen. Ins Positive gewendet werden solche Einlagen durch freudigere Choroegrafien, wobei Birgit Unterweger auch mal ein TV-Boulevard-Gesicht mit Oma-Charme aufsetzt. Sex? Leopold Blum und seine Molly nackt auf dem Boden, und Linda Pöppel, die, nachdem sie sich im Dreck gesuhlt hat, mit schwarz verkrusteter nackter Haut auftaucht. Und Matthes darf erzählen, ruhig und konzentriert, ohne wie die anderen vom Teufel geritten worden zu sein, erzählen von Hades und anderen großen Dingen. Verblühte Rosen auf einem Leichenwagen. Hinzu kommt immer wieder Shakespeare, der eignet sich vorzüglich für die Nationalbibliothek, wo elegant mit Gelehrten gefachsimpelt wird.

 

© Arno Declair

 

 

Traumhafte Sequenzen, die in einen Alptraum umschlagen

Ganz am Anfang brennt Dublin. Das Desaster nimmt seinen Lauf. Hatte nicht der große James in einer Aufwallung humorvoller Megalomanie gesagt, man könne Dublin anhand seines Romans rekonstruieren? Nun, Hartmann hat so seine Probleme, etwas Unverkennbares von Dublin herauzusaugen. Die Orte kommen und gehen, aber die Bühne bleibt immergleich bestehen: Schule, Strand, Friedhof, Bibliothek, Krankenhaus oder Bordell. Nur dass es auf die Orte gar nicht ankommt. Der Regisseur will Stimmungsbilder einfangen, traumhafte Sequenzen, die aber schnell in einen Alptraum umschlagen können. Alles Alltägliche wendet sich ins Spielerische, zerfließt in dicht pulsierende Eindruckskunst, die zugleich bezaubern und abstoßen möchte. Gelegentlich wird auch verbal gekämpft, Judith Hofmann beispielsweise. Sie kämpft gegen eine unvermeidliche Männerwelt, die sich selbst erhebt, aber im Grunde an der eigenen Selbstverzwergung schuld ist: Hofmann tritt sie nieder wie ein lästiges Insekt. Durch das Wechselspiel von Monolog und Gruppenspiel verlangt Hartmann seinem Publikum einiges an Aufmerksamkeit ab, es ist, als müsste ständig der Schalter umgestellt werden. Am Ende ist auch die Irrfahrt durch Dublin zu Ende. Molly und Bloom gemeinsam im Bett

 

Ulysses
nach James Joyce

Übertragung von Hans Wollschläger
Regie/Bühne: Sebastian Hartmann, Dramaturgie: Claus Caesar,Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Videoanimation: Tilo Baumgärtel.
Mit: Bernd Moss, Ulrich Matthes, Cordelia Wege, Manuel Harder, Daniel Hoevels, Linda Pöppel Judith Hofmann, Benjamin Lillie, Birgit Unterweger, Edgar Eckert

Deutsches Theater Berlin, Premiere war am 19. Januar, Kritik vom 28. Januar 2018.
Dauer: 3 Stunden, 50 Minuten eine Pause

 

 

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