Deutsches Theater Berlin: Kritik von "Unterwerfung" – Stefan Kimmig
Premiere. Michel Houellebecqs Roman landet im DT. Der Literaturwissenschaftler François schnarcht als leidender Patient der muslimischen Machtübernahme in Frankreich entgegen.
Michel Houellebecq
© Wikipedia / Mariusz Kubik
Unentwirrbares Sinnvakuum
Der in Dauererschlaffung befangene, alkoholkranke Anti-Held wird von Steven Scharf gespielt, der häufig in Unterhose agiert und mit dem Leben längst abgeschlossen hat. François klagt über einen lästigen Fußpilz, eigentlich nur eine Marginale, die sich mit Cremes schnell beseitigen lässt, aber er jammert herum, als habe er sich einen bösartigen Tumor eingefangen. Als Literaturdozent genießt er Privilegien, unter anderem auch das Abstauben einer schnellen Nummer mit einer willfährigen Studentin. Bedauerlicherweise widerfährt ihm nicht selten das, was Stendhal in Über die Liebe ‚Fiasko' oder ‚Schiffbruch erleiden' nennt. Vergangene Fellatio-Glorifizierungen wechseln permanent ab mit aktueller, fataler Potenzschwäche. Hierbei spielt Lorna Ishema eine Studentin, die sich lässig und nacktbeinig auf einem Stuhl vor seinem Krankenlager aufbaut. Irgendwann steht Ishima, einen politischen Einschub aufgreifend, mit Blondhaar-Perücke da als Marine Le Pen, die sich vor der französischen Fahne postiert und die Parolen der extremen Rechten verkündigt. All das berührt François nicht wirklich – er ist längst in einem unentwirrbaren Sinnvakuum angelangt und da ist es fast gleichgültig, wer nun die Herrschaft in Frankreich "ergreift". Um Schlimmeres zu verhindern, arrangieren sich die bürgerlichen Parteien mit den Muslimbrüdern. Es geht nur noch ums kleinere Übel.
Kein Weg nach oben
Kimmig gelingen zwei gute Szenen bzw. Metaphern. Auf der Bühne ist eine Treppe platziert, die auf den Deckenboden führt, zu einer Art Speicher. Als François nach oben klettert, brechen die Treppen ein – sie sind nur aus Papier. Später – er hat sich endlich einmal respektabel gekleidet – fährt die ebenfalls mit Papier versehene Decke herunter und durchstößt sein unfeuriges, mit einer Konfektionsbrille ausgestattetes Haupt. Der Weg nach oben, zum Himmel gar ist versperrt, stattdessen fällt der Himmel auf den Kopf. Die Verlegung des lendenschwachen Literaturkenners ins Krankenhaus ist zwar recht originell, spült aber den Erzählstoff arg weich. Dass der Dauerpatient repräsentativ für den angenommenen Gesellschaftszustand Frankreichs oder Europa stehen soll, ist möglich. Tatsache ist, dass er als exemplarischer Typus überhaupt nichts taugt, weder als Literaturwissenschaftler, noch als stets übers Private reflektierender Schwächling. An den dramatischen Vorgängen in der Außenwelt nimmt er überhaupt nicht mehr teil. Und so kommt es in der Kimmig-Ästhetik dazu, dass zwei Geschichten nebeneinander herlaufen. François wurde nur rein zufällig in diese Zeit hineingestellt.
Die Muslimbrüder kommen an die Macht
Ein wenig explosiv wird es erst, als der Klinikarzt (Camill Jamall) an François' Bett schreitet und sich dort liebevoll hinsetzt. Der Mediziner erläutert überausführlich die Vorzüge der an die Macht gekommenen Muslimbrüder, die für die Scharia, Mehrfach-Ehen, unterwürfige Frauen und winkende Vollbeschäftigung eintreten. Letztere aber nur deshalb, weil die Frauen vom Arbeitsmarkt systematisch verdrängt und etliche Koraninstitutionen eingeführt werden. Jäh streift sich der Arzt seinen Kittel ab und erscheint als der leibhaftige Muslimführer Ben Abbès. Da der Abgehalfterte eh nichts mehr zu verlieren hat, klingen die neuartigen Botschaften nicht unverheißungsvoll, ist er doch ein bekennender Macho, der seine Privilegien nicht verlieren möchte. Die Rede von Camill Jamall wirkt ein wenig erschütternd, da viele, lang durchlebte westliche Werte über Bord geworfen werden. Vielleicht schwer zu ertragen für einige Zuschauer, vor allem wegen der detaillierten Weitschweifigkeiten. Während Roman und Kino weitgehend ins Fiktive und Märchenhafte abgeschoben werden, wirkt ein solches Live-Erlebnis wesentlich intensiver und authentischer. Darin liegt unter anderem auch die unmittelbar wirkende Kraft des Theaters. Die Krone setzt der bereits der islamischen Weltanschauung verhaftete Universitätspräsident Rediger auf (Wolfgang Pregler). Ohnehin der nationalkonservativen "Bewegung" zugeneigt, nimmt er die neuen Vorteile gerne an und genießt sie förmlich. Ein veritabler Opportunist, der immer das Beste für sich herauszuholen bemüht ist, egal aus welchem Lager die vermeintlichen Innovationspotentiale gerade kommen. Die Darstellung kommt etwas zynisch daher: Die extremen Rechten finden bei den Muslimbrüdern einige jener Positionen, die sie selbst in ihr Programm integriert haben. Sollte jemals ein AFD-Mitglied in diese Aufführung stolpern, fände er wohl einiges gar nicht so schlecht – vom Islamismus einmal abgesehen. Diese Inszenierung ist so gar nicht neutral und unpolitisch. Kimmigs zwiespältige Version von Unterwerfung schafft es gegen Ende, dass sie, ganz im Sinne Kafkas, etwas sticht und beißt.
Unterwerfung
nach dem Roman von Michel Houellebecq
Fassung von Stephan Kimmig und David Heiligers
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Sigi Colpe, Musik: Michael Verhovec, Video: Julian Krubasik, Licht: Robert Grauel, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Steven Scharf, Wolfgang Pregler, Lorna Ishema, Marcel Kohler. Camill Jammal.
Deutsches Theater Berlin
Premiere vom 22. April 2016
Dauer: 2 Stunden, 5 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)