Iwan Turgenjew

© Ilja Repin/Wikipedia

 

Ein Rebell in Adelskreisen

Die Bühne befindet sich in der Raummitte, ringsum sitzen die Zuschauer, teilweise auf extra angefertigten Tribünen. Das Mobiliar ist äußerst dürftig, einige Tische stehen herum, und die vielen unterschiedlichen Stühle wirken, als habe man sie aus Spargründen blindlings im Flohmarkt zusammengekauft. Um der Spärlichkeit eine gewisse Feierlichkeit zu verleihen, hängen auf Stangen Luftballons, die später zerplatzen. Wer sich die Inszenierung ansieht, glaubt kaum, dass es sich um eine Vorlage des feinen, unfeurigen Turgenjew handelt – zu sehr mutet das Ganze nach einer komödiantischen Tragödie von Tschechow und ähnlichem Kaliber an. Die Chemie weit über die Poesie stellend, scheint den umtriebigen Mediziner Jewgenij (Alexander Khuon) in seinem forciert antiautoritären Rebellentum nichts aufzuhalten – bis auf die Liebe. Das ist ein Schwachpunkt des Romans, und irgendwie musste Turgenjew ja den Gegner der verkrusteten, langsam dahinsiechenden Adelskaste zu Fall bringen. Ausgerechnet die elitär denkende Anna Odinzowa (Franzika Machens) ist es, die sein scheinbar zubetoniertes Herz zum Klingen bringt und die geplante Umwertung der Werte vorübergehend auf Eis legt. Doch die distinguierte Frau will nicht so recht, zumal es dem Werbenden ein wenig an Feingefühl gebricht: Alexander Khuon lässt ein wenig die zarten Nuancen, das damals blühende Junkerlich-Kultivierte vermissen. Als Ritter der traurigen Gestalt muss er erkennen, dass sein Kompagnon Arkadij (Marcel Kohler) ein zu intensives Auge auf Annes Schwester Katja (Kathleen Morgeneyer) geworfen hat. Dabei kann man als geistiger Adlatus doch glatt die revolutionären Gedanken vergessen. Es kommt zum Zerwürfnis, zu einem glänzend dargestellten Kampf zwischen Khuon und Kohler, Ohrfeigen inklusive.

 

Am Ende kommt die Doppelhochzeit

Das alles wird nicht flott erzählt, sondern arg zerdehnt. Da bleibt viel Platz für Details und Figurenausleuchtung. Die Adelsplätze werden nicht selten gewechselt, und tänzelnde Figuren dürfen nicht fehlen. Sogar Marwart Müller-Elmau als Kammerdiener hüpft ekstatisch herum, mit gelben velourisierten Latex-Handschuhen, die für tiefe Griffe in verdreckte Klos wie geschaffen sind. Und Elke Petri spielt eine hochbetagte Fürstin, die ständig wirr herumbrüllt und schon etwas durch den Wind ist. Da Jewgenij auch (natürlich spießige) Eltern besitzt, werden Bernd Stempel und Katrin Klein aufgefahren. Des Nihilisten Freund Arkadij sieht sich einem peinlichen Verhör ausgesetzt, das durch Stempel eine starke Wendung ins absurd Komische erhält. Es ist viel los in den Kammerspielen, zumal mit Helmut Mooshammer (als Arkadijs Vater und moderater Gutsbesitzer) und Oliver Stokowski (als Arkadijs Onkel) zwei nicht unbedeutende Akteure auf der schlichten Bühne stehen. Durch das Bühnenarrangement ist das Ensemble quasi herangezoomt, in greifbarer Nähe. Diese Intimität kann allerdings nicht verhindern, dass die Kurzweil mitunter in Langeweile umschlägt – eben wegen der zu großen Ausführlichkeit, die auch das Redundante mit einschließt. Immerhin: Löffner lädt viele Augenblicke mit Bedeutung auf, ein Bedürfnis, das Turgenjew einer Person in den Mund legt. In den besten Momenten flackert eine Größe auf, die an Gosch erinnert. Am Ende kommt es noch zu einem Déjà-vu-Theatererlebnis. Alle Personen sitzen gemeinsam an einer Tafel. Diesmal wird eine Doppelhochzeit zelebriert, die gemäßigten Grundherren nebst Gefolge gehen weiterhin ihren Geschäften nach. Und der heißblütige, dauerempörte Dissident, was macht Jewgenij? Der ist wie zufällig an Typhus gestorben. Ganz ungelegen dürfte ihm der Tod nicht gekommen sein, für ihn ist in dieser Gesellschaft noch kein Platz. Ein harmloser Schluss, auch in der Fassung von Daniela Löffner und David Heiligers. Dennoch setzt sich Alexander Khuon für ein paar Sekunden ans feierliche Bankett. Es ist nur sein Geist, aber seine Gedanken rumoren im Geist weiter.

Väter und Söhne
von Brian Friel nach dem Roman von Iwan Turgenjew;

Deutsch von Inge und Gottfreid Greiffenhagen;

Fassung von Daniela Löffner und David Heiligers
Regie: Daniela Löffner, Bühne: Regina Lorenz-Schweer, Kostüme: Katja Strohschneider, Licht: Marco Scherle, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Oliver Stokowski, Alexander Khuon, Kathleen Morgeneyer Marcel Kohler, Helmut Mooshammer, Benjamin Radjaipour, Lisa Hrdina, Bernd Stempel, Katrin Klein, Franziska Machens, Hanna Hilsdorf, Markwart Müller-Elmau. Elke Petri.

Deutsches Theater Berlin

Premiere vom 12. Dezember 2014
Dauer: 4 Stunden, eine Pause


 

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