Ab ins Aquarium

Foto: Arno Declair

 

 

Der Stabile wird durchs gemeine Umfeld unstabil

Wäre das alles bloß nicht herausgekommen in diesem Klassenzimmer-Kammerspiel. Ronald Rupp galt als hochkompetent, fleißig und sozial. Nur hat der Direktor, der eigentlich in die 80-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gehört, etwas herausbekommen, und zwar eine geistige Anomalie, die nicht ins Schulbild passt. Manu Cordson (Birgit Unterweger), übrigens eine gute Sängerin und Mama der Schülerin Sarah (Linn Reusee), greift die vollbusige Ronald-Gattin (Anja Schneider) ans Zentralorgan und macht Knutschversuche, anschließend kümmert sie sich um Ronald, um die Vergangenheit aufzufrischen. Sie weiß "alles" - und das dringt alles zu den semi-verkalkten Ohren des noch autoritären, aber abgehalfterten Direktors. Ronald Rupp, über Jahre hinweg stabil gewesen, auch durch ein Lithium-Tablettentherapie, gerät angesichts der Anfechtungen in eine gefährliche Krise. Ein Aquarium, das in der Mitte platziert ist, wird Schauspiel von ungeahnten Aggressionen. Wir sehen reingetunkte Gesichter, selbst der angebrüllte Direktor und die neue Nachfolgerin Inga Römmelt (Judith Hofmann mit schwarzer Perücke) werden offensiv bearbeitet, Letztere wird übers Knie gelegt, um den unbelasteten Hintern sinnlos und ohne strategische Absicht zu versohlen. Die große Leistung des Autors Thomas Melle liegt darin, dass er einen einst gefestigten Menschen durch Denunziation, Eifersüchteleien, Neid und Ausschüttungen von leider wahren Vergangenheitsgeschichten in ein psychisches Desaster treibt. Hätte man Ronald in Ruhe gelassen, wäre mutmaßlich alles gut gegangen. Die Regisseurin Brit Bartkowiak macht daraus eine Tragikomödie – und bedient sich hemmungslos am gehobenen Boulevard.

 

Aus der Tragödie folgt ein Unterhaltungsspiel

Man kennt den Spruch aus dem Alltagsleben: "Mach kein Theater!". Brit Bartkowiak lässt bedauerlicherweise zu viel Theater machen. Der einzige Schauspieler, der normal-temperiert spielt, ist der in allen Einsätzen sympathische Christoph Franken, nebst Anja Schneider. Der große Rest chargiert, agiert überzogen, spricht in Hyperbeln, wie es in keiner Schule üblich ist. Mitunter gleitet das Projekt in eine Farce hinein, denn wenn man alles satirisch übermalt, müsste sich doch etwas denken lassen. In Hinblick auf gediegene Nonchalance und fairer Kommunikation ist die Inszenierung geradezu ein Affront. Die Gesetze sind aufgehoben. Es dominieren die geistige Kälte und unerbittliche Streitgespräche. Immerhin: Die Schauspieler*innen zeigen mal wieder, was sie können. Doch ist das zu wenig. Es ist, als würde Bartkowiak den einigermaßen prätentiösen Text in ein aus Unterhaltungszwecken aufgebauschtes Lustspiel verwandeln, das die Vorlage durch übertriebenen Spaß vollgießt. Der Feinschmecker soll durch Vermischen der Soßen in einen Gourmand übergehen. Schauspielerisch geht das Ganze durch, aber inszenatorisch nicht. In letzter Zeit findet man ein ganz anderes Phänomen im Deutschen Theater vor: Die Beifallsorgien erinnern an Parteitage.

 

Versetzung
von Thomas Melle
Regie: Brit Bartkowiak, Bühne: Johanna Pfau, Kostüme: Carolin Schogs, Musik / Sounddesign: Joe Masi, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Anja Schneider, Christoph Franken, Birgit Unterweger, Michael Goldberg, Helmut Mooshammer, Judith Hofmann, Caner Sunar, Linn Reusse, Daniel Hoevels.

Deutsches Theater Berlin, Uraufführung vom 17. November 2017.
Dauer: 120 Minuten, keine Pause

Foto: Arno Declair

 

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