Elegante Possenhaftigkeit

Samuel Finzi

© Wikipedia/Ralf Roletschek

 

Das Bühnenbild (Mark Lammert) erinnert leicht an "Gesäubert" in der Berliner Schaubühne (von Sarah Kane, Regie: Benedict Andrews, 2004), nur dass in Ivan Panteleevs Inszenierung die Mulde kein Wasser enthält und wesentlich tiefer ist. Das eingespielte Duo Samuel Finzi und Wolfram Koch ist diesmal wieder sehr gut aufgelegt, sie machen als Wladimir und Estragon zwar nicht die Sinnlosigkeit sinnvoll, aber gestalten das Zeittotschlagen in einem Maße interessant, dass für Außenstehende der Sinn im Spiel liegt. Die ungewollte Komik des Dramas wird durch die beiden Akteure en passant zur bewusst eingesetzten Komik. Als die sich auf der Stelle drehende Inszenierung zu zerfließen droht und sich beim Publikum erste Anzeichen von Sättigung und Überdruss einstellen, spielt das Duo aus Überlebensgründen Lufttennis und andere Sportarten, um die Zuschauer durch ihre elegante Possenhaftigkeit bei der Stange zu halten. Und das gelingt vorzüglich, bis zum Schluss - die Hauptdarsteller haben ihr Publikum jederzeit im Griff.

 

Das Schwein denkt und tanzt

Ein eigenwilliges Verhältnis haben Pozzo und Lucky, ihre gegenseitige Abhängigkeit hat den Charakter eines mikrokosmischen Sklavenhaltersystems. Christian Grashof, mit seinen 71 Jahren noch längst nicht in das Stadium der Greisenhaftigkeit eingetreten, legt seinen Pozzo mit tyrannischen Allüren hin, die sich in einem rauen Befehlston äußern und Lucky zu einem elenden Häufchen degradieren. Wenn Pozzo aufruft: "Tanze, Schwein!", macht Lucky meditative Yoga-Bewegungen, als wolle er mitschwingen in einem transzendentalen Takt, ohne eine obere Instanz geistig aufzusuchen. Als Pozzo hingegen verlangt: "Denke, Schwein!", brabbelt Lucky am Bühnenrand hastig ein wissenschaftliches Kauderwelsch daher, das verworren zwischen Religion und Philosophie oszilliert und nicht mehr bietet als eine vollständig sinnentleerte Solo-Performance. Noch nie hat Andreas Döhler eine solch devote Rolle ausgefüllt, er bewegt sich quasi auf Neuland. Immer wieder faltet er ein pinkfarbenes Großtuch, legt es zu Stoffballen zusammen, um dann wieder aufs Neue damit zu beginnen. Er macht das nur, um mir zu gefallen, erklärt Pozzo. Die Hörigkeit hat ihren Kulminationspunkt erreicht, ist aber nicht einseitig.

 

Verlorene, aber keine Erloschenen

Plakat der Aufführung

 

Das Nichts des Dramas ist bei Panteleev wenigstens ein Etwas. Godots Erscheinen könnte Verhängnis oder Befreiung sein, das Fortgehen - und damit das Aufgeben des Wartezustands - wird verhindert durch die Angst vor Bestrafung. Der spielerische Umgang mit dem Nichts ist immerhin eine ganze Menge – und es gibt nicht wenige, die aus der Beobachtung von Langeweile, versuchter Zerstreuung und erzwungenem Zeitvertreib einen subtilen Genuss zu ziehen vermögen. Es ist mitunter ein Vergnügen, das ausdrucksvolle, gestenreiche und muskelintensive Gesichtsspiel von Finzi und Koch zu verfolgen. Hier stehen Verlorene auf der Bühne, aber keine Erloschenen. Sicherlich, die Figuren haben keine geistige Heimat, aber an dieser Stelle soll nicht das abgegriffene literaturwissenschaftliche Geschwätz von der metaphysischen Unbehaustheit strapaziert werden. Hier wird das Nichts durch die Hintertür prallvoll ausgefüllt, jedenfalls für die Zuschauer. Panteleevs Inszenierung sollte eigentlich die Spielzeit eröffnen, wurde aber wegen einer Verletzung, die sich Wolfram Koch beim Surfen zugezogen hat, verschoben. Nach dem arg durchwachsenen, eher matten "Tabula Rasa" ist "Warten auf Godot" eine nachgeschobene, gelungene Ouvertüre.

Warten auf Godot
von Samuel Beckett
Deutsch von Elmar Tophoven
Koproduktion Ruhrfestspiele Recklinghausen / Deutsches Theater Berlin
Regie: Ivan Panteleev, Dramaturgie: Claus Caesar, Bühne und Kostüme: Mark Lammert, Mitarbeit Bühne: Ulrich Belaschk, Mitarbeit Kostüme: Karin Rosemann, Licht: Robert Grauel,.
Mit: Christian Grashof, Samuel Finzi, Wolfram Koch, Andreas Döhler.

Deutsches Theater Berlin

Berlin-Premiere vom 28. September 2014

Dauer: 2 Stunden, 30 Minuten, keine Pause.


 

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