Roland Schimmelpfennig

© Tsui/Wikimedia

 

Der Gastgeber hört auf Zwischentöne

Das Bühnenbild von Stéphane Laimé ist recht spartanisch, es wird dominiert von einem großen Mehrzwecktisch, der den im Hintergrund arrangierten Streifenvorhang fast verdrängt. Die beiden einzigen kahlen DT-Schauspieler Bernd Stempel und Felix Goeser sind mit ‚bürgerlichen" Perücken ausgestattet, was hauptsächlich Goeser, der selten Sympathieträger-Rollen übernimmt, rein optisch domestiziert. Goeser als Albert setzt sich als Schriftsteller mit dem Faschismus auseinander und trägt flotte, legere Kleidung – braune Schlabberhose, rosa Zartpulli und eine übergeworfene Hausjacke -, die stark zum ausgefallenen Designgewand von Bettina (Judith Hofmann) kontrastiert. Man ist gebildet, kultiviert, gleitet nicht in geistige Verstiegenheiten ab. Im Grunde passt der unerwünschte Rudolph (Bernd Stempel) hervorragend ins Bild, er ist geistig beschlagen bis hin zur Anmut, ein Klassik-Fan und intoniert den von ihm geduldeten Chopin auf dem Klavier. Doch irgendetwas wirkt an ihm befremdlich – Albert hört wie zufällig eingeworfene Zwischentöne, unpassende Nuancen, als blitze aus den feinen Kulturstatements etwas Unanständiges heraus. Schimmelpfennigs Sprache ist nicht plump, ist es nie gewesen. Diesmal verzichtet er auf überflüssige Wiederholungen (was ein großer Vorteil ist), aber er verzichtet auch auf eine semipoetische Sprache (was ein großer Nachteil ist). Die etwas derbe Sprache der hervorragenden Dialogschreiberin Yael Ronen ist ihm fremd, er verachtet das Hölzerne und allzu Direkte und mag mehr die gebremst spritzigen Feinheiten, die nur manchmal zünden. Allerdings möchte er mit seinem neuen Drama auch verstanden werden, und das verführt ihn dazu, Klartext zu reden.

 

Infiltration reaktionären Gedankenguts

Die Sache ist nämlich die, dass Rudolph etwas bizarre Äußerungen einfließen lässt, die sein vorgeblich humanes kulturelles Erbe in Frage stellen. Er redet über Blattläuse und unstatthafte Vermischungen, redet von festen Grenzen und lässt mit einem antialkoholischen Heilwasser auf tausend Jahre anstoßen. Der stark angetrunkene Künstler Konrad (Edgar Eckert) hört auf die Lockungen seiner Worte und träumt von einer entfesselten, befreiten Kunst, die seine Liebe zu Bettina fast vergessen macht. Nur Albert ist auf der Hut, hört das damalige anvisierte Tausendjährige Reich heraus und ist mehr als entsetzt. Jetzt wird's eindeutig: Judensau, lässt sich Rudolph vernehmen. Die Infiltration reaktionären Gedankenguts ins gesättigte bürgerliche Lager! Besonders originell ist dieser Gedanke nicht - er ist auch nicht repräsentativ und meint höchstens eine zweifelsohne virulente Minorität. Dies ist mitnichten "ein genaues Bild der gegenwärtigen Mitte der Gesellschaft", wie es das Programmheft und Schimmelpfennig weismachen wollen. Hier handelt es sich um das Heraufbeschwören einer gutbürgerlichen Gefahr, die relativ harmlos ist und sich aufgrund politischer Trägheit nur in Worten Ausdruck verschafft, ohne beim ‚Plebs' propagandistisch tätig zu sein. Ein auf Abwege geratener Bildungsbürger mit bizarren Wurzeln also – kein paradigmatisches Zeitphänomen, das extrem rechten Bewegungen das geistige Pulver liefert. Letztlich ist das recht anregende, leider überlange Stück ein passables Unterhaltungsstück, verbrämt durch gute Schauspielerleistungen und wohldosierte, nicht zu fetzige Dialoge.

Wintersonnenwende
von Roland Schimmelpfennig
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Musik: Arno Kraehahn, Dramaturgie: David Heiligers.
Mit: Felix Goeser, Judith Hofmann, Jutta Wachowiak, Bernd Stempel, Edgar Eckert, Lea Metscher/Elisa Drenckhahn, Maries Stimme: Emilia Plath

Deutsches Theater Berlin

Deutschsprachige Erstaufführung vom 23. Oktober 2015
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

 

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