Sebastian Grünewald, Anja Schneider, Andreas Döhler, Linn Reusse, Sabine Waibel

© Arno Declair

 

Die Wutakrobaten kriechen aus allen Löchern

Elfriede Jelinek holt bei ihrer Wutoffensive weit aus. Es ist ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass es die Wut schon immer gegeben hat, etwa bei den alten Griechen. Selbst die alten Götter der Polytheisten kannten die Phänomene Wut und insbesondere Rache, vor allem auch der heroische Olymp-Parvenü Herakles, der gerne tobte und polterte. Jelinek greift darüber hinaus wichtige Denker des Abendlandes auf, ohne allerdings Peter Sloterdijks lesenswerteste Abhandlung Zorn und Zeit zu berücksichtigen – vielleicht weil er, wie es so schön abgedroschen heißt, nicht auf ihrer Seite steht. Schon bald kriechen die irrational daherschwallenden Wutakrobaten aus allen Löchern. Gottesfürchtige, religiöse Fundamentalisten, IS-orientierte Steinzeit-Kombattanten und Pegida-Anhänger ergreifen das Wort. Das Nachwuchstalent Linn Reusse übernimmt vorübergehend die Rolle eines (schlafenden?) Terroristen, der selbst eine widerrechtliche Machtübernahme als notwendig erklärt und einen blutgetränkten Triumph über den religiös-politschen Gegner einfordert. Andreas Döhler, im Ensemble eher der derb-rotzigen Fraktion zugehörig, spielt gerne Kleinbürger, die zwischen getarnter Beschränktheit und Bauernschläue oszillieren – so auch hier. Sein zutiefst empörter Pegidist lässt bei seiner Wortwahl keinen Sinn für sprachliche Sensibilitäten erkennen. Hauptsache, er macht sich Luft und verletzt dabei ein bisschen. Im weiteren Verlauf schwingt sich Döhler zu einem selbsternannten Entertainer oder Moderator auf. Und Sabine Waibel, keine Vertreterin des Hoanzl-Reichs, gibt sich in legerer Hauskleidung als Jelinek-Attrappe.

 

Empörungsschreie und ein kunterbuntes Allerlei

Anja Schneider ist diesmal etwas blass und bleibt hinter ihrem Talent zurück, ganz im Gegenteil zum quirligen Sebastian Grünewald, der gehörig aufdreht und auch mal ins Parkett steigt, um ein paar Zuschauer zu fotografieren. Wenn alle ihre Wut herausschreien, bleibt am Ende eine undifferenziert strukturierte Einheits-Chose übrig - la même chose eben, um einmal wie Jelinek zu kalauern. Doch zum Glück ist ihr Hang zu ihren teilweise fatalen Wortspielereien diesmal stark gebremst. Sie wollte ihr Publikum aufrütteln, nicht über Gebühr malträtieren. Laberenz' arrangierter Rollentausch ist ebenso beabsichtigt wie der fließbandartige Wechsel der Kostüme (die Schlingensief-Witwe Aino Laberenz). Auf der Bühne wird permanent ein kunterbuntes Allerlei geboten, neben groß ausgestellten Gesten liefert der Regisseur Karikaturen von langhaarigen Göttern (ohne Poseidons Dreizack), ein Auto-Wrack (das an die Gorki-Ästhetik unter Armin Petras erinnert) sowie eine rosige Selbstkreuzigung. Das Auge wird positiv überrumpelt, doch das Gehör ist stark überreizt. Letztlich gehen Laberenz seine ökonomischen Mittel bei der Verteilung von Zuschreibungen und Rollen aus. Wenn er bei seinen Auswalzungen an etwas scheitert, dann sind es seine ökonomischen Defizite. Nicht zuletzt wegen der Live-Musik (das Duo Bernhardt, Keyboards und elektronisches Schlagwerk), das tolle Klangfarben und facettenreiche Stimmungsbilder hervoruft, ist die Inszenierung noch annehmbar. Dass auch Laberenz Wut erzeugen kann, beweist er in den letzten gefühlten 20 Minuten. Ständig wird S.O.S. von Abba gesungen, ein Song von 1975, der damals fortwährend im Radio kam und als Kind schon – mühsam niedergehaltene - Zertrümmerungsgelüste auslöste.

Wut
von Elfriede Jelinek
Regie: Martin Laberenz, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Aino Laberenz, Dramaturgie: Juliane Koepp, Video: Daniel Hengst, Licht: Marco Scherle, Ton: Björn Mauder,.
Mit: Sabine Waibel, Sebastian Grünewald, Anja Schneider, Andreas Döhler, Linn Reusse, Musik: Bernhardt.

Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 26. März 2017.
Dauer: ca. 140 Minuten, keine Pause

 

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