Maren Eggert auf Alexander Khuon

© Arno Declair

 

 

Ein reglementiertes Leben im Büro

Das Bühnenbild (Florian Lösche) verbreitet eine unbehagliche, kalte Atmosphäre. Sie besteht aus großen Buchstaben, die teilweise wahllos hin- und hergeschoben werden und in seltenen Fällen ein Wort mit Bedeutung ergeben, wie um einem Ratespiel einen Sinn aufzupfropfen. Die Buchstabensuppe lässt sich sogar als Mobiliar nutzen, doch wer in solch einem unwohnlichen Interieur haust, ist von Anfang an verloren. Aus Frank ist nun doch nicht der große Denker mit Strahlkraft geworden. Mittlerweile führt er ein reglementiertes Leben im Büro, dessen Profanität er in Kauf nimmt, um ein Auskommen zu haben, monetäre Kompetenz zu beweisen und nicht Gefahr zu laufen, ins Prekariat abzurutschen. Es ist nicht das, was er sich ursprünglich vom Leben vorgestellt, aber immerhin vorzeigbar, man ist gegen Anfechtungen der Außenwelt abgesichert. Die lebt übrigens ähnlich. Gelegentlich erhält man Besuch von den Campbells, die ein abenteuerliches, weil kaum zusammenpassendes Paar abgeben. Während Milly (Kathleen Morgeneyer) ziemlich überdreht ist und am meisten von allen eine unkonventionelle Note hat, wirkt Shep (Christoph Franken) mitunter unfreiwillig komisch, etwas unbeholfen gar, aber sehr sympathisch. Mit seiner neuen Frisur sieht Franken jetzt aus, als habe er einen Schatten gekauft und bürgerliche Solidität erlangt. Und dann ist da noch die Maklerin Helen Givings (Judith Hofmann) mit glatter blonder Schönheitsperücke, bei deren Outfit sich Kostümfrau Pauline Hüners wohl ein bisschen in der Zeit geirrt hat. Das Stück spielt im Jahr 1955 und Hofmann trägt ein Kleid mit schwarz-weißen Karos, eine Aufmachung, die ab 1980 in der New-Wave-Zeit der Dernier Cri war.

 

Ein Paar, das sich seine Mittelmäßigkeit nicht eingestehen möchte

Das Köstliche an dieser Roman-Adaption von Richard Yates: April und Frank sitzen seit jeher in der eigenen Mediokrität fest, wollen es aber nicht wahrhaben. Sie machen sich beide nur etwas vor, ihr Leben ist ein einziger Selbstbetrug. Und diese Mittelmäßigkeit wird hervorragend dargestellt. Keiner der Dialoge ist von Tiefsinn, eleganten Formulierungen oder gar einem artistischen Geist geprägt. Wenn Frank so reden würde, wäre es nur reine Attitüde eines Pseudo-Intellektuellen, der sich in der falschen Etage verirrt hat. Seinem neuen Umfeld zu erklären, er sei ein Poet und Denker und gehe seinen eigenen Weg – dafür gebricht es ihm an Mut. Wichtiger ist Frank die Anerkennung, auch die seines Firmenchefs (Helmut Mooshammer), dessen unerwartetes Lob ihm plötzlich ungeahnten Auftrieb verleiht. Irgendwann macht April einen Ausbruchsversuch aus der Sackgasse und schlägt vor, in Paris eine neues leuchtendes Leben zu beginnen, sie werde auch das Geld verdienen. Großartig, wie Maren Eggert ihre Euphorie darstellt, und wie sie spricht! Frank ist anfangs begeistert und träumt schon von Leichtlebigkeit und gesellschaftlicher Unabhängigkeit als abgesicherter Bohemien, in einer Großstadt, die er aus der Westentasche zu kennen glaubt. Unglücklicherweise wird April zum dritten Mal schwanger und sie möchte gerne abtreiben, um den Paris-Traum zu verwirklichen. Hier wird Frank wieder zum gnadenlosen Bürger: Abtreibung gibt es nicht, und mit einem dritten Kind geht Paris auch gar nicht. Irgendwann, bei einem Selbstabtreibungsversuch rinnt ihr Blut die Beine entlang – die unvorhersehbare Flucht aus dem selbst errichteten Gefängnis ist auf anderem Weg gelungen. Jette Steckel hat noch eine originäre Regie-Idee auf Lager: Ole Lagerpusch als Nachbar John Givings tritt auf wie ein fanatisierter Heiliger, der den Anschein erweckt, als würde er am liebsten von einem Berg herab eine Predikt halten, um das Volk zu missionieren. Dabei wurde er gerade nach etlichen Elektroschocks aus der Psychiatrie entlassen und schert sich einen Dreck darum, was die Gesellschaft von ihm hält. Aber er wird trotzdem einigermaßen akzeptiert. Für die Wheelers hingegen ist die gesellschaftliche Akzeptanz alles – und daran gehen sie zugrunde. Da die Mittelmäßigkeit das Thema des Abends ist – diese Inszenierung liegt knapp darüber.

 

Zeiten des Aufruhrs
nach dem Roman von Richard Yates
Regie Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners, Musik und Komposition: Olaf Casimir, Christian von der Goltz, Bill Petry, Choreographie: Yan Revazov, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Maike Knirsch, Maren Eggert, Ole Lagerpusch.Alexander Khuon, Kathleen Morgeneyer, Judith Hofmann, Christoph Franken. Helmut Mooshammer, Caner Sunar.

 Band: Olaf Casimir (Bass), Bill Petry (Trompete), Christian von der Goltz (Piano). 

Deutsches Theater Berlin, Premiere vom 28. Februar 2019
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten, eine Pause

 

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