Regisseur Simon Solberg

Regisseur Simon Solberg (Bild: © Wikipedia/El. shimon)

Eine ausgeprägte Weed-Lunge

In der kleinen Box wird ein großer Bühnenaufwand betrieben, Leinwände sind aufgebaut, auf denen Videos abrollen, eine anheimelnd düstere Stimmung erzeugend. Da regnet es in Strömen, Kreuze tauchen auf und dahingleitende Wolken als dunkle Vorzeichen einer apokalyptischen Bedrängnis. Um den Hals von Vater Duke hängt eine Uhr, es ist fünf vor zwölf. Hat die Stunde bereits geschlagen? Helmut Mooshammer als Vater trägt ein weißes Unterhemd und eine tief ins Gesicht geschobene Mütze, unter der fettige silbrige Haarsträhnen in dünnen Fäden hervorsprießen. Ein unauslöschliches Faible für Pizza und Makkaroni habend, verkriecht sich der Alte gern in einen Chatroom für platonische Liebschaften und dergleichen. Ansonsten verfügt der Ex-Biker über eine antrainierte, ausgeprägte Weed-Lunge, er hat einen wahren Heißhunger auf Joints, die er aus medizinischen und außermedizinischen Gründen serienweise konsumiert. Sein privates Stone-in hält seine Gedächtnis- und Sprechleistungen in Gang, andernfalls droht ein Absturz in unverständliches Brabbeln. Partiell ereilt ihn eine vorübergehende Blindheit, ein deutliches Anzeichen fortgeschrittener MS, und Solberg lässt immer wieder einen Text mit den Folgen dieser Krankheit an die Wand projizieren. Wie Duke und seine Tochter (Linn Reusse) den Alltag anpacken, ist oftmals ermüdend, aufgeregt, ja zermürbend, aber es gibt auch heitere Augenblicke, Phasen leiser Lebensfreude, Intervalle der Hoffnung, gerade wenn sie die Haufen leerer Kartons, die die Bühne einnehmen, neu sortieren und aufeinanderstapeln.

 

Es droht die doppelte Abschiebung

Buch-Cover

© Rowohlt Theater Verlag

 

In einem Einschub lässt der schottische Dramatiker Greig die exzentrische Internetbekanntschaft Dukes in der Wohnung auftauchen: Ein weiterer Baustein im häuslichen Chaos. Wesentlich wichtiger ist der angekündigte Besuch einer Sozialarbeiterin, die dann in Gestalt von Natali Seelig anrückt, quasi als Menetekel, als Vorbote der Trennung. Das ist ein hochaktuelles Thema, nicht nur auf der Insel: Viele Jugendliche, die Eltern oder Verwandte daheim betreuen, fürchten die doppelte Abschiebung, die für sie selbst das Heim bedeutet, während der bislang Versorgte in eine Pflegestation eingewiesen wird. Deshalb versuchen viele Jugendliche eine heile Welt vorzutäuschen, um den Status Quo zu erhalten und sich das Sozialamt vom Leib zu halten. In panikartiger Stimmung ist nun Duck um häusliche Ordnung bemüht, assistiert – teilweise auch behindert – wird sie durch ihren Freund Lawrence, der, von bizarren Vorstellungen getragen, einen sehr unkonventionellen Wunsch vorbringt, der die hetereofixierte Schwungkraft seines Genitalapparats betrifft. Sie möge ihm doch bitteschön einen blasen, hinter einem Kiosk, damit alle Welt von seiner Nicht-Schwulheit erfährt. Nun hat die gute Duke andere Sorgen, immerhin ist Lawrence eine willkommene Ablenkung für Filmaufnahmen, Gesang und Dukes schriftstellerische Versuche. Auf der Bühne erwächst ein Minimalpanoptikum, ein Sammelsurium, ein kleines Bildermeer mit musikalischen Ingredienzien. Aber die Monster im Kopf können nicht bezwungen werden. Die Ernst-Busch-Schauspielstudentin Linn Reusse zeigt stellenweise ihre Begabung, auch der auf halbletal getrimmte Helmut Mooshammer weiß zu überzeugen. Es ist dies eigentlich eine Tragödie, die in eine Komödie umkippt. Kein großes Theater, das bezaubert, aber durchaus gelungen.

Monster

von David Greig

Deutsch von Barbara Christ

Kooperation mit der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch"

Regie: Simon Solberg, Bühne: Maike Storf, Kostüme: Linda Tiebel, Sounddesign: Stephan Läufer, Video: Joscha Sliwinski, Dramaturgie: Kristina Stang.

Mit: Linn Reusse, Helmut Mooshammer, Natali Seelig, Gregor Schleuning.

Deutsches Theater Berlin

Premiere vom 24. Oktober 2014

Dauer: 75 Minuten

 

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